Der italienische Künstler Amedeo Modigliani führte ein Leben voller Ausschweifungen und einer unbändigen Leidenschaft für die Kunst – und für Frauen. Obgleich ihm zu seinen Lebzeiten kein kommerzieller Erfolg vergönnt war, sind die Werke des exzessiven Italieners dank seines unverwechselbaren Stils heutzutage allseits beliebt.
Unabhängig von formalen Kunstbewegungen seiner Zeit strebte der begabte Maler nach einem eigenständigen Ausdruck. Insbesondere aus dem Kunsthandwerk afrikanischer Stämme zog er Inspirationen für seine Malerei. Unverkennbar ist die Ähnlichkeit seiner unkonventionellen, langgezogenen Porträts mit den rituellen Masken aus Afrika. Dennoch ließ der breit interessierte Europäer auch zeitgenössische künstlerische Trends nicht aus dem Blick. Durch die Beschäftigung mit einer Vielzahl an Kunstformen verschmolzen unterschiedlichste Einflüsse in seine eigene Malerei. Auch wenn Modigliani offen und ohne Zwänge aus der globalen Kulturwelt seine Ideen schöpfte, blieb sein Gesamtwerk originell. Seine Porträts und Akte sind einzigartig in der Kunstwelt des 20. Jahrhunderts. In beiden Genres durchbrach Modigliani geschickt die herkömmlichen Maltraditionen seiner Zeit. Mit psychologischer Feinfühligkeit und innovativer Experimentierfreudigkeit brachte er seine Musen auf die Leinwände. Sein Talent und seine malerische Kühnheit rief große Bewunderung in seinen Künstlerkollegen hervor, darunter Chaim Soutine, Maler und enger Vertrauter Modiglianis. Dennoch blieb das Leben des italienischen Künstlers hauptsächlich verbunden mit Exzess, Frust und Erfolglosigkeit.
Schwermütig blicken die Personen auf Modiglianis Leinwänden den Betrachter an. Langgestreckte Gesichtszüge, kleine Münder sowie teilweise leere Augen ohne Pupillen stilisieren das Antlitz des Porträtierten bis zur Maskenhaftigkeit. Mit dieser radikalen Reduzierung revolutionierte der Maler der École de Paris nicht nur die Porträtmalerei. Auch seine modernisierten Akte zeigen die Dargestellten auf eine spezifisch „modiglianische“ Weise: Losgelöst von den individuellen Merkmalen der Person konzentriert sich das Bild auf einzigartige Art und Weise auf deren Innenleben: nachdenklich, unbeteiligt und in sich gekehrt. Eine Inspirationsquelle des Italieners waren die Skulpturen des rumänischen Bildhauers Constantin Brâncuși. Brâncușis Idee einer absichtlich generalisierten Reduktion auf das Wesentliche eines menschlichen Gesichtes beeindruckte den jungen Modigliani stark.
Modiglianis Akte schockierten die damalige Gesellschaft am meisten. Denn sie offenbarten eine ungeschminkte Sexualität. Wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses tauchte bei einer seiner Ausstellungen sogar die Polizei auf. Das öffentliche Zurschaustellen der Akte im Schaufenster der Galerie war ein Skandal. Unverblümt waren die Schamhaare der abgebildeten Frauen zu erkennen. Was diese offenkundige Provokation jedoch noch anheizte, waren die allseits bekannten Ausschweifungen des Malers. Sein Drogen- und Alkoholkonsum nahm in kürzester Zeit selbstzerstörerische Züge an. Die schroffe Ablehnung aller bürgerlichen Werte machten den einstigen braven Jungen zu einem zügellosen Verfechter alternativer Lebensweisen. Jedoch lagen hinter der selbstbestimmt wirkenden Fassade dunkle Geheimnisse. Wiederkehrende Episoden von finanzieller Notlage, eine zur Depression neigende Persönlichkeit und zu guter Letzt ein geschwächtes Immunsystem, das Modigliani seit Kindestagen belastete, waren die wahren Auslöser seiner destruktiven Lebensweise.
Zu Modiglianis Errungenschaften zählt nicht nur, dass er das Zeigen von Aktmalerei auf den öffentlichen Raum ausweitete. Seine Werke tragen darüber hinaus eine authentische Sinnlichkeit in sich, die sowohl die Akt- sowie die Porträtmalerei von jeglicher mythologischer Metaphorik befreite. Auch wenn seiner Malerei jede Dekadenz fehlt, lag seinem Wesen Bescheidenheit fern. Als berüchtigter Don Juan lag ihm nichts näher als das Leben zu genießen und seine Grenzen auszutesten. Zeitgenossen sprachen ihm sogar eine Frauensucht zu. Modiglianis impulsive Beziehungen zu Frauen war Zündstoff für seine destruktiven Verhaltensweisen, die jede Menge Klatsch und Tratsch auslösten. Aber als Muse für seine Meisterwerke war ihm das schöne Geschlecht unentbehrlich. Dabei zeichneten sich die Porträts seiner Freundinnen und Liebhaberinnen durch eine besondere Mischung aus Verallgemeinerung und Spezifität aus. Wiederkehrende Motive wie mandelförmige Augen und lange Hälse verleihen seinem Gesamtwerk eine faszinierende Einheitlichkeit. Trotz der für Modigliani charakteristischen stilisierten Wiedergabe seiner Modelle geben die Porträts die Persönlichkeit der individuellen Person wider.
Im Alter von 22 Jahren zog der junge Künstler nach Paris um. Ab 1906 arbeitete Modigliani hauptsächlich in Frankreich und machte sich schnell einen Namen im Künstlerkreis der École de Paris. Seine Freunde und Kollegen hatten einen großen kreativen Einfluss auf ihn.
Obwohl Modiglianis Gemälde weitaus bekannter sind als seine Skulpturen, behaupten einige Kunsthistoriker, dass seine wahre Leidenschaft der Bildhauerei galt. In der Tat konzentrierte sich Modigliani schon als junger Mann vorrangig auf die plastischen Künste. Wie in seinen abstrahierten Malereien verwendete er für seine Skulpturen typische Stilmittel wie Reduktion und Vereinfachung. Konkrete Beweise dafür, wie sehr die Bildhauerei sein malerischen Werk prägte, sind die in den Jahren 1909 und 1914 erschaffenen Schnitzereien und Holzschnitten.
Als jüngstes Kind jüdischer Eltern wuchs Amedeo Modigliani in der italienischen Stadt Livorno auf. Amedeos Vater Isaac und seine Tante Laure Garsin stammten aus einer hochgebildeten, intellektuellen Familien. Beide führten den jungen Modigliani in die Welt der Philosophie und Literatur ein, die eine große Rolle in seiner Erziehung spielte. 1895 erkrankte der 11-jährige Amedeo erstmals schwer. Im Zusammenhang mit der Krankheit erlitt er im Laufe seiner Jugend immer wieder gesundheitliche Rückschläge. Während einer dieser bettlägrigen Phasen, erwuchs in Amedeo der Wunsch Künstler zu werden. Beflügelt von diesem Hoffnungsschimmer erzählte er seiner Mutter davon. Eugenia Modigliani träumte wie die meisten Elternteile zwar von einer konservativeren Ausbildung für ihren Sohn, folgte aber später seinem Wunsch und finanzierte seinen Zeichenunterricht: „Am 1. August [1898] beginnt er mit dem Zeichenunterricht, den er schon lange machen wollte. Er denkt, er ist bereits ein Maler.“ Bereits ein Jahr nach seinem ersten Kunstunterricht trat der ambitionierte Jugendliche aus der Schule aus und begann eine künstlerische Ausbildung bei dem Maler Guglielmo Micheli.
Nach einer seiner vielzähligen Erkrankungen erholte sich Modigliani bei einem Kuraufenthalt in Süditalien. Zusammen mit seiner Mutter besuchte er währenddessen die Museen in Florenz, Rom, Neapel und Venedig. Die Begegnung mit den klassischen Künsten seiner Heimat begeisterten Amedeo so stark, dass er trotz der Bedenken der sich Sorgen machenden Mutter nach Florenz umzog, um sich dort an der Scuola Libera di Nudo als Kunststudent einzuschreiben. Die Zustimmung seiner Mutter war dem ehrgeizigen, jedoch geschwächten jungen Mann sehr wichtig. 1903 siedelte Amedeo nach Pietrasanta um und widmete sich dort der Bildhauerei. Die anstrengende Arbeit als Steinmetz hielt er zu seinem Bedauern nicht lange aus.
Zurück in Florenz freundete sich Modigliani mit dem impressionistischen Künstler Manuel Ortiz de Zarate an. Diese Bekanntschaft stellte sich als schicksalshaft heraus: Nach Zarates faszinierenden Erzählungen von Paris und der Avantgarde nahm sich Modigliani vor, seine Karriere in Frankreich weiterzuverfolgen. Die besorgte Mutter, die seinen Gesundheitszustand realistischer einschätzen konnte als der junge, nach Abenteuern suchende Amedeo riet ihm davon ab. Mittlerweile bedurfte der erwachsen gewordene Sohn jedoch keine elterliche Bestätigung mehr. Er schlug dennoch den Weg des Kompromisses ein und begann eine Ausbildung an der Accademia di Belli Arti in Venedig. Für den unkonventionellen Amedeo war die traditionelle Kunstschule eine schlechte Wahl. Immer öfter begann er sich nachts in den Bars der Stadt mit Alkohol und illegalen Substanzen zu zerstreuen. Die italienische Kunstszene enttäuschte ihn. Schließlich zog der unzufriedene Künstler in seine Traumstadt Paris.
In Paris lebte Modigliani auf. Er besuchte eifrig alle wichtigen Kunstevents und Museen, genoss das pulsierende Nachtleben, lernte bekannte Künstler kennen und schrieb sich in der renommierten Académie Colarossi ein. Mittlerweile konzentrierte er sich ganz auf die Malerei und die bildliche Darstellung psychischer Gemütszustände.
Indes erlitt der junge Maler auch in Paris Niederschläge. Seine Ausstellungen und Werke fanden kein breites Interesse. Der Verkauf von Gemälden blieb aus. In seiner Not tauschte der mittellose Künstler seine Kunst gegen Lebensmittel. Modiglianis Frust über die Mittellosigkeit führte zu vermehrtem Alkohol- und Drogenkonsum. Der Drogenmissbrauch wirkte sich zerstörerisch auf seine ohnehin schon angeschlagene Gesundheit aus. Als sein Werk „Die Jüdin“ von 1908 ebenfalls keine Beachtung fand, widmete sich der niedergeschlagene Modigliani wieder der Bildhauerei.
Die Liebe zur schönen Schriftstellerin Emily Alice Haigh motivierte Modigliani zurück zum Pinsel zu greifen. Die Porträts seiner Geliebten sind von engelhafter Anmut. Dick bemalte Leinwände, dunkle Farben, die scharf mit den zarten Umrissen des Frauenkopfes kontrastieren, dominante Braun- und Blautöne: Die durchdachten Kompositionen seiner Bilder vermitteln starke Emotionen. Ein kleiner Erfolg war die finanzielle Förderung von Paul Guillaume, einem bedeutenden Kunsthändler, die ihm ab 1914 zuteilwurde. Da der Verdienst jedoch gering war und der Karrieredurchbruch ausblieb, flüchtete der enttäuschte Künstler tiefer in den Alkoholismus, was Haigh dazu veranlasste die Beziehung zu beenden. Modiglianis Malerei jedoch befand sich – anders als der Maler selbst – auf seinem ausdrucksstärksten Höhepunkt.
Nach einigen unglücklichen Affären und geringen Einnahmen, kehrte erst 1917 dank der Heirat mit Jeanne Hebuterne Ruhe und Zuversicht in sein Leben zurück. Die Beziehung zur jungen Kunststudentin wurde nicht nur seine neue Inspirationsquelle, sondern brachte auch Stabilität in seinen Alltag. Es schien bergauf zu gehen, doch nur ein Jahr nach der Geburt der gemeinsamen Tochter, gab die Gesundheit des Künstlers nach. 1920 verstarb Modigliani mit nur 35 Jahren an einer tuberkulösen Meningitis. Seine Ehefrau begann ein Tag nach seinem Tod Selbstmord. Das selbstzerstörerische Leben des dekadenten Künstlers und das traurige Schicksal seiner jungen Familie wurde dreimal verfilmt und in neun Biografien festgehalten. Auch seine Tochter Jeanne Modigliani veröffentlichte eine Biografie über ihren berühmten Vater unter dem treffenden Titel: Man and Myth.