Das Oeuvre des spanischen Malers Francisco José de Goya y Lucientes, besser bekannt als Francisco Goya, eröffnete den Weg in die Kunst der Moderne. Ihre einzigartige Position in der westlichen Kunstgeschichte verdankt sie der außergewöhnlichen Vorstellungskraft ihres Schöpfers. Goya verkörperte wie kaum ein anderer Künstler vor ihm die Betonung des Subjektiven und die düstere Seite der Emotionen. Beide moderne Eigenschaften finden sich vorrangig in seinen späteren Gemälden und in seinen Drucken wider. Der Meister der Druckgrafik bediente sich an der Kunst, um persönliche Gefühle über die sozialen und politischen Ereignisse seiner Zeit auszudrücken. Seine emotionalsten Gemälde handeln von gesellschaftlichen Missstände, Korruption der Regierenden und von dem tief verwurzelten Aberglauben der spanischen Bevölkerung.
Als scharfsinniger Beobachter reagierte der Spanier künstlerisch auf die turbulenten politischen Ereignisse seiner Ära. Von der Inquisition über die Zeiten der Aufklärung bis hin zur Napoleonischen Invasion: Goya vermochte Themen wie Befreiung, Unterdrückung sowie Kriegsschrecken originell und bewegend in seinen Kunstwerken aufzuarbeiten. Dank des Erfindungsreichtums seiner Bilderwelt und seinem Engagement in Sachen Gerechtigkeit und Wahrheit konnte der charismatische Maler einen großen Einfluss sowohl auf progressive Zeitgenossen als auch auf nachfolgende Künstlergenerationen der Moderne ausüben. Einige Werke des Landsmanns Pablo Picasso erinnern in seiner Ausführung an Goyas unerschrockene, malerische Auseinandersetzung mit politisch aufgeladenen Themen. Surrealistische Künstler wie Salvador Dalí bauten auf dem Grundstein auf, den Goya mit seinen bizarren Gestalten und an Träume erinnernde Darstellungen legte. Eben diese Bildersprache des Verzerrten, Grotesken und Fantastischen prägte die Bildenden Künste bis ins 21. Jahrhundert hinein. Gesellschaftskritische Künstler lassen sich heute immer noch von der inhaltlichen Schärfe des wegweisenden Malers inspirieren.
Zwischen unentdeckten Anspielungen und herber Offenheit
Als einer der besten Grafiker seiner Zeit wurde Francisco Goya für seine Radierungen bekannt. In Goyas Druckgrafiken, beispielsweise die Arbeiten „Caprichos“, „Proverbios“ und „Tauromaquia“, kommen seine künstlerische Genialität und seine persönlichen Meinungen oftmals noch besser zur Geltung als in seinen Malereien. Am spanischen Hof als Maler angestellt, verrichtete der Spanier im aufwendigem Malstil formelle Porträts des Adels. Die virtuos gestalteten Bilder des königlichen Hauses unterstreichen geschickt den Reichtum und die Macht der Porträtierten. Dennoch sind diese Werke bespickt mit heimlicher und sogar spöttischer Kritik an den elitären Herrschern und ihrem höfischen Leben. Andeutungen, die von den reichen und mächtigen Auftraggebern selbst unbemerkt geblieben sind.
Inhaltlich konnte Goya sich vor allem in seinen Radierungen ausleben, die er privat ausführte. Die Schwerpunkte seiner Sujets lagen mal auf der dokumentarischen Abbildung, mal auf dem Imaginären. Gemeinsam ist ihnen oftmals ein satirischer oder humorvoller Unterton.
Ein zentraler Platz in Goyas Themenwelt nimmt die Frau ein. Besonders häufige malte er sogenannte Majas, exzentrische und auffallende Frauen aus einfacheren, spanischen Milieus des 18. und 19. Jahrhunderts. Gewagte Darstellungen von Königinnen und Hexen zeigen seine persönlichen Interpretationen von weiblicher Stärke. Goya gelang es ein Bild von Frauen zu zeichnen, die im Besitz ihrer eigenen sexuellen sowie sozialen Macht sind. Unter seinen Zeitgenossen und Kollegen führte diese moderne Deutung von Weiblichkeit zu vielen Spekulationen über sein privates Leben. So wurde ihm beispielsweise eine Liebesaffäre zur Herzogin von Alba unterstellt.
In späteren Werken wich die skandalbehaftete Fixierung auf moderne Frauendarstellungen zugunsten düsterer Gemälden mit mysteriösen Inhalten. Die Serie der schwarzen Bilder umfasst vierzehn Malereien, die von Verzweiflung, Sehnsucht, Leidenschaft, Gewalt und dem Bösen erzählen. Der reife Maler malte sie im Atelier in seinem Zuhause in Madrid. Im Bauernhaus am Stadtrand kämpfte der idealistische Künstler – im Alter gehörlos und depressiv geworden – mit seiner mentalen Gesundheit und einem überwältigenden Gefühl der Enttäuschung gegenüber der Gesellschaft. In der Erforschung der dunklen Seite des Menschen, böser Kräfte und seinem eigenen Unterbewusstsein fand der alternde Goya Halt und Heilung. Erste Schritte in Richtung einer expressionistischen und surrealistischen Haltung, die im 20. Jahrhundert aufblühte, lassen sich schon in diesen kraftvollen Werken Goyas am Anfang des 19. Jahrhunderts erahnen.
Francisco de Goya y Lucientes wurde in der spanischen Stadt Fuendetodos in eine einfache Familie geboren, die der Mittelschicht angehörte. Mit seinen fünf Geschwistern wuchs er in Saragossa auf. In der örtlichen Schule lernte er Martin Zapater kennen, mit dem Goya bis an sein Lebensende eine innige Freundschaft verband. Der schriftliche Austausch den beiden Männern ist eine der wenigen direkten Informationsquellen über Goyas Jugend und junge Erwachsenenzeit in Madrid.
Goyas künstlerische Ausbildung in der Werkstatt des Malers Jose Luzan dauerte vier Jahre. Nach dem Studium zog der 18-jährige Goya in die Großstadt Madrid um. Anton Raphael Mengs nahm ihn als Student unter seine Fittiche. Der deutsche Künstler arbeitete als Porträtist für die königliche Familie. Trotz dieser wichtigen Verbindungen war die Lehre bei Mengs ernüchternd. Meister und Schüler waren sich unsympathisch und fanden keinen Zugang zueinander. Womöglich war die Ablehnung einer Aufnahme Goyas in die „Real Academia de Bellas Artes de San Fernando“ in den Jahren 1763 und 1766 Resultat einer erfolglosen Ausbildung durch Mengs.
Erst nach einem Umzug nach Italien nahm Goyas künstlerische Karriere Züge an. Obgleich der junge Maler anfangs im Unklaren darüber war, was er in Italien überhaupt machen sollte, gewann er 1771 – ein Jahr nach seiner Übersiedlung – den zweiten Platz eines bedeutenden Kunstwettbewerbs in Parma. Zeitnah nach Saragossa zurückgekehrt, begann Goya eine Meisterschülerausbildung bei Francisco Bayeu. Der Maler wurde nicht nur sein Mentor, sondern auch sein enger Freund. Später heiratete Goya Bayeus Schwester. Mit Josefa hatte er mehrere Kinder. Jedoch überlebte nur der Sohn Javier. Goya war ein stolzer Vater, der oft von der Schönheit seines Sohnes schwärmte: „Mein Sohn ist so schön, dass die Leute auf der Straße in Madrid stehen bleiben, um ihn anzusehen.“ Dass er Javier sehr liebte, beweist auch seine Anmerkung, als dieser schwer erkrankte: „Für diese Zeit habe ich aufgehört zu leben.“
Um an seine ehemaligen Verbindungen zum spanischen Hof anknüpfen zu können und diese aufleben zu lassen, fertigte Goya mehrere Radierungen nach Gemälden des spanischen Malers Velázquez an, die sich in der königlichen Sammlung befanden. Ebenso nutze er eine Auftragsarbeit für die Königliche Tapisserie, um seine Karriere auszubauen. Die Wandteppiche wurden später in den Räumlichkeiten der Königspalästen angebracht. Weitere Gemäldewünsche der Königsfamilie, die Goya ausführte, waren mehrere Gemälde, die Szenen des spanischen Alltags im sanften und erhellenden Rokoko-Stil zeigen.
1786 wurde Goya in die Riege der Hofmaler von Karl III. aufgenommen. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere am Königshof freundete er sich mit dem Minister Manuel de Godoy an. Der einflussreiche Mann kaufte Goya zahlreiche Gemälde für seine private Sammlung ab. Da diese Werke Auftragsarbeiten waren, kamen Gerüchte über die Identität der dargestellten Frauen und ihre verheimlichten Liebesbeziehungen zu Godoy auf, die sogar vor der Inquisition thematisiert wurden.
Innerhalb eines Jahrzehnts etablierte sich der eigenwillige und doch bodenständige Maler Goya als Liebling des Königs. So wurde der talentierte Porträtist 1799 in das Amt des Ersten Hofmalers des Königs erhoben, die höchste Funktion eines Künstlers am Hofe. In dieser privilegierte Position diente Goya bis zur Invasion von Napoleon im Jahr 1808. Da er den Bonapartisten seine Treue schwor, erhielt er weiterhin hochrangige Aufträge der neuen Regierung.
1792 pausierte der produktive Künstler seine Arbeit aufgrund einer schweren Erkrankung. Welche Krankheit es war, ist unklar. Fakt ist jedoch, dass sie ihn dauerhaft taub machte. Goya verfiel daraufhin in eine heftige Melancholie und zog sich verbittert vom öffentlichen Leben zurück. Der Rückzug gab dem geplagten Künstler Gelegenheit, aus der Distanz die Gesellschaft zu analysieren. Der Halbinselkrieg (1808 – 1814) gab Anstöße für Goyas Kunstwerke „Der zweite Mai“ und „Der dritte Mai“ sowie „Die Schrecken des Krieges“. Die düsteren Werke stellen seine enorme Wut gegenüber der unfassbaren Gewalt dar.
1824 flüchtete er vor Repressionen durch das Regime von Ferdinands VII. nach Bordeaux. Den Rest seines Lebens verbrachte der alte Maler bis zu seinem Tod 1828 mit seiner Partnerin Leocadia Weiss und ihrer Tochter im Exil in Frankreich. Seine erste Ehefrau Josefa Goya, die Mutter seines Sohnes Javier, verstarb schon 1812.
Goyas unverwechselbare Stellung zwischen Tradition und Moderne verlieh dem mutigen Maler schon zu Lebzeiten eine unkonventionelle Aura. Mit seinen fantastischen und subjektiven Darstellungen ebnete er den Weg in Richtung Moderne. Der breiter Pinselduktus des königlichen Hofkünstlers eröffnete eine neue und spontane Art des Malens, die schlussendlich im Impressionismus ihren Höhepunkt feierte. Darüber hinaus ist der progressive Einsatz von sozialer Satire als künstlerisches Mittel ein weiteres bedeutungsvolles Vermächtnis an die Kunstwelt. Bezugspunkte zu Goyas Werken lassen sich in den Arbeiten des belgischen Malers James Ensor finden, der – ähnlich wie der Spanier ein Jahrhundert vor ihm – in seinen Kunstwerken korrupte Politiker und betrogene Massen an den Pranger stellte. Mit Schockmomenten und Provokation arbeiten auch viele zeitgenössischen Künstlergrößen, darunter Salvador Dalí, Pablo Picasso, Paul McCarthy und Damien Hirst. Besonders eindeutig ist Goyas Einfluss auf das Gemälde „Olympia“ von Édouard Manet