Wie die Romantiker vor ihm, sah sich der englische Soldat und Landschaftsmaler Paul Nash dazu berufen, die Landschaften seiner Heimat in einzigartigen Ausdrucksformen wiederzugeben. Nicht ohne Stolz positionierte sich Nash als direkten Nachfolger seiner Vorbilder J.M.W. Turner und William Blake in der Tradition einer Kunst, die sich im Aufbruch in die Moderne befand. Nash schöpfte aus einer umfassenden Fülle an Inspirationen. In seinem Notizbuch hielt er regelmäßig fest, was ihn berührte. In seiner Liste befanden sich Persönlichkeiten wie Cézanne, aber auch Materialien wie Ziegel, Steine und Fliesen sowie Dinge aus dem alltäglichen Leben (Beleuchtung der Einkaufsstraßen, Feuerwerk, Maschinen, Film und Fotografie.) Auch der damals angesagte Kubismus ging an dem Engländer nicht spurlos vorbei. Neben der Malerei produzierte der Tausendsassa Drucke, Lithografien, Teppiche, Glas, Keramik, Gravuren, Bücher und sogar ganze Interieurs. Nashs künstlerische Karriere war voller überraschender Kontraste. Doch vor allem spielten seine Erfahrungen als Soldat eine bedeutende Rolle in seiner Kunst: Die Werke des Neo-Romantikers zeigen eindrücklich die Auswirkung des Krieges und der industriellen Zerstörung auf die Landschaften Englands.
Gut Ding will Weile haben
Der frühe Tod seiner Mutter setzte dem ältesten Sohn Paul stark zu. Der sensible Junge, der im Jahre 1889 in Kensington geboren wurde, hatte schon als Kind mit Schüchternheit und melancholischen Verstimmungen zu kämpfen. Um seiner angespannten Realität und der Einsamkeit zu entkommen, beschäftigte sich Paul mit Literatur und langen Wanderungen durch die abgelegenen Gegenden von Buckinghamshire. Diese erfüllende Nähe zur Poesie und Natur prägte den sanftmütigen, jungen Mann nachhaltig.
Dennoch beschrieb Nash im Rückblick seine Schul- und Jugendzeit als schwierig und voller „Elend, Angst und Demütigung″. Obgleich es keine Wertschätzung der Künste im Haushalt der Nashs gab, entschied sich Paul – von einem wohlmeinenden Freund ermutigt – für eine Zukunft als Künstler.
Im Alter von 17 Jahren begann Paul Nash seine künstlerische Ausbildung an der Chelsea Polytechnic, heute Chelsea College of Art. Er wechselte zwei Jahre später auf County Council School für Fotogravur und Lithografie. In der lebendigen, künstlerischen Umgebung blühte der scheue junge Mann auf. Hier lernte er, wie ein Künstler seinen Lebensunterhalt mit Illustrationen und Gestaltung für Unternehmen und Einzelhändler verdienen kann. Der ältere Maler und Grafiker William Rothenstein wurde auf den talentierten, aber merkwürdig ruhigen Paul aufmerksam. Begeistert von seinen innovativen Landschaftszeichnungen, setzte sich Rothenstein für seinen jungen Schützling ein und bestärkte ihn, sich an der renommierten Slade School of Art zu bewerben. Obwohl Nash in die Kunstschule eintreten durfte, teilte Slade-Professor und Künstler Henry Tonks die Euphorie Rothensteins bezüglich des jungen Künstlers nicht. Paul konnte keine Personen zeichnen. Sein Interesse galt hauptsächlich der Natur und den Landschaften. Dies wiederum verurteilte Tonk. Es kam zu hitzigen Diskussionen zwischen Lehrer und Schüler. Der harmoniebedürftige Kunststudent, der nicht gut mit Konflikten umgehen konnte, verließ innerhalb eines Jahres die Kunstschule.
Die Aussichtslosigkeit des Krieges gegen die Kraft der Kunst
Nash kehrte erleichtert zurück nach Buckinghamshire. Introvertiert wie er war, zeichnete er oft nachts Baum- und Landschaftsstudien seiner geliebten Heimat und zog sich komplett in seine eigene Welt zurück. Er experimentierte mit unterschiedlichen Maltechniken und verbrachte seine Tage ruhig und gelassen mit Malen, Zeichnen, Lesen und stundenlangen Wanderungen. Zu jener Zeit entdeckte er die Wittenham Clumps, ein Waldgebiet in der Nähe des Hauses seines Onkels. Die Clumps waren ein wiederkehrendes Motiv in seinen Arbeiten. Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder John, der in der Zwischenzeit ebenfalls begonnen hatte zu malen, stellte er erstmals seine Werke aus. Die Heirat mit der Frauenrechtsaktivistin Margaret Odeh vervollständigte sein privates Glück. Doch die überschauliche Idylle hatte ein jähes Ende, als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach. Nash trat der Artists Rifles Brigade bei und wurde an die Front geschickt. Der verträumte junge Mann zeichnete eifrig alles, was er als Soldat sah, in das Skizzenbuch, das er immer bei sich trug. Noch bevor es zu einer kriegerischen Aktion kam, fiel Nash in einen Graben und brach sich mehrere Rippen. Doch dieser Unfall entpuppte sich als Glück im Unglück. Er wurde als Invalide nach Hause geschickt. Wenige Tage später wurde Nash die Nachricht überbracht, dass die Mehrheit seiner Einheit bei einem überraschenden Angriff ums Leben kam. Dieses Erlebnis löste in Nash den bitteren Knoten, den er seit seiner Kindheit in sich trug: Er schwor sich von diesem Zeitpunkt an, das Leben mehr zu schätzen. Paul Nash sowie sein Bruder John wurden offiziell als Kriegskünstler angestellt, um für die Regierung Kriegsszenen zu malen. Die Brüder kehrten zurück an die Front und sammelten Eindrücke für Bilder. Paul beschrieb seine Erfahrungen als Soldat als „gottlos, aussichtslos und unaussprechlich″. Der sensible Mann sah sich als Verräter: „Ich bin kein Künstler mehr. Ich bin Botschafter für diejenigen, die wollen, dass der Krieg für immer weitergeht.″ Dennoch fertigte Paul gewissenhaft Hunderte von Skizzen an, die ihn für zukünftige Gemälde dienten.
Aus dem Trauma zurück in die Welt
Der Krieg endete und Nash konnte sich endlich wieder vollständig seiner eigenen Malerei zuwenden. 1918 nahm er mit drei der damals entstandenen Bilder an der Gruppenausstellung mit dem aussagekräftigen Titel „Void of War″ (zu deutsch: Die Leere des Krieges) teil. Die Bilder zeigten die unheimlichen und zerstörten Schlachtfelder des Krieges. Von Kritikern wurde Nash für seine schonungslose und dennoch malerisch ästhetische Auseinandersetzung gefeiert. Doch der Erfolg in der Kunstszene konnte nicht die körperlichen und geistigen Schäden durch die Lebensbedingungen in den Gräben wettmachen. Nash wurde 1921 in eine Klinik eingewiesen, um seine traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten. Trotz der mentalen Schwierigkeiten, blieb Nash immer zuversichtlich und produktiv: Er beschäftigte sich mit verschiedenen künstlerische Ausdrucksformen wie Bühnengestaltung und Holzstich und arbeitete als Kunstlehrer am Royal College of Art. Zu seinen berühmten Schülern gehören die Künstler Eric Ravilious und Edward Bawden.Mit dem Alter wurden Nashs Landschaftsmalereien immer abstrakter und surrealistischer. Kunsthistoriker bringen in deshalb oftmals mit dem Surrealismus in Verbindung. Nash selbst fühlte sich nicht unbedingt einer Bewegung zugehörig. In der Tat aber besuchte Nash 1929 die bekannten Künstler Max Ernst und Pablo Picasso in Paris. Diese Reise inspirierte ihn, den den Surrealismus sowie den Kubismus zu erforschen. Nash nutzte die bildliche Sprache beider Stilrichtungen, um mysteriöse und spirituelle Aspekte in den Landschaften, die er malte, hervorzuheben. 1933 gründete er zusammen mit den Künstlerkollegen Henry Moore, Barbara Hepworth und Ben Nicholson das Künstlerkollektiv Unit One, das einen großen Einfluss auf die britische Kunst der damaligen Zeit hatte. Doch während er als Künstler Erfolge erzielte, gestaltete sich sein privates Leben turbulent. Eine Affäre mit der exzentrischen Künstlerkollegen Eileen Agar, mit der er auch zusammenarbeitete, ließ den zu Depressionen neigenden Maler am Boden zerstört zurück. Um dem Liebenkummer zu entfliehen und gleichzeitig seiner Ehe eine weitere Chance zu geben, zog er mit seiner Frau Margaret in die Großstadt London. Mit den sich selbst überschätzenden Hohenflügen war es vorbei. Zusätzlich brachte der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs den alternden Künstler zurück auf den Boden der Tatsachen, als Nash erneut als Kriegskünstler einberufen wurde. Doch seine anthropomorphen Bildnisse der Militärflugzeuge stießen zunächst auf Gegenwehr. Durch die unerbittliche Unterstützung des Kunsthistorikers Kenneth Clark, gestattete ihm die Royal Air Force jedoch künstlerische Freiheit in der malerischen Umsetzung von Luftkonflikten. Manche dieser provokanten Werke gingen dem Ministerium, das Professionalität bewahren wollten, dennoch zu weit; beispielsweise die Collage, in der Nash Hitler als fliegenden Weißen Hai verkörperte. Diese Serie mit dem Titel „Follow the Fuehrer″ war dem Kriegsministerium zu brisant und sie lehnten die kontroversen und abstrakten Collagen ab.
Letztendlich entsprach der faszinierende Engländer Paul Nash dem Bild eines typischen Künstlers, verstrickt in Widersprüchen und ambivalenten Gefühlen. Sowohl seine Karriere wie auch sein Leben waren voller Kontraste, die ihn selbst am meisten zerrissen: die konservativen Werte der Ehe und die leidenschaftliche Anziehungskraft zu extravaganten Frauen sowie die von der Regierung bezahlte Arbeit als Kriegskünstler und die Ablehnung jeglicher militärischer Gewalt. Nashs letztes Kriegsgemälde zeigte 1944 eine Schlacht in Deutschland. Die nächsten Jahre lebte er von depressiven Episoden geplagt und zurückgezogen, bevor er 1946 plötzlich an Herzversagen verstarb. Spätestens als die damalige Königin, die Ehefrau von König Georg VI und Mutter von Elizabeth II, 1948 die Gedenkfeier zu seinen Ehren besuchte, wurde das künstlerische Ausmaß von Paul Nash sowie die enorme Bedeutung seines Werkes für Europa – und insbesondere Großbritannien – auch dem letzten Zweifler klar. Bis heute ist der großartige Vertreter der englischen Moderne ein Referenzpunkt für aufstrebende, englische Maler geblieben.