Vor rund 500 Jahren machte sich einer der bemerkenswertesten Maler der Welt daran, jahrhundertealte Erzählungen über Perversion, Schamlosigkeit und Exzess künstlerisch umzusetzen. Während seine Zeitgenossen das Sichtbare und Reale malten, begab sich der Ausnahmekünstler auf den revolutionären Weg diesen altbewährten Status Quo zu durchbrechen. Das Gesamtwerk des visionären Genies mit dem Künstlerpseudonym Hieronymus Bosch kann getrost als eine grandiose Leistung bezeichnet werden. Denn bis heute ziehen seine detaillierten Versionen christlicher Themen Betrachter weltweit in den Bann. Auf Boschs Leinwand finden sich absurde Tiere und Menschen, Monster und mythische Kreaturen in fantastischen Landschaften wieder, dicht an dicht gedrängt in einem chaotischen Miteinander. In diesen Sphären zwischen Himmel und Hölle gefangen, erzählt diese makabere Besetzung Geschichten über Moral und das Schicksal aller Sünder, die dem Ego sowie allen erdenklichen Perversitäten erliegen.
Ohne Zweifel sind Boschs unheimliche Gemälde Metaphern für die existentiellen Kämpfe der Menschheit. Die meisterhaften Bilder Boschs fordern regelrecht zu Interpretationen heraus. So wird der niederländische Maler oftmals als eine Art Prophet positioniert, der viele Themen der modernen Welt in seinen Arbeiten bereits angedeutet hat. Umweltverschmutzung und Industriemüll bedrohen die Erde, religiöse Kriege und Terrorismus haben ganze Nationen in immer Griff und letztendlich beherrscht fortwährend Gut wie Böse das internationale politische und soziale Geschehen. Vor diesem Hintergrund sind die Bilder Boschs heute noch genauso aktuell wie zu seiner Zeit. Auf ihnen kommen aus den dunkelsten Nischen der Meere Wesen empor, die Schaudern, Verwirrung und Schrecken auslösen und stellvertretend für schlechtes Verhalten, Gewalttätigkeit und ethische Fehltritte stehen. Dabei drückt sich die bizarre Wiedergabe der Fehlerhaftigkeit des Menschen und verborgener Mächte in der visuellen Vielfalt seiner Figuren aus.
Bekannt ist Bosch vor allem für seine absurden Elemente und bizarren Hybridwesen. Der herausragende Bildermacher komponierte Bilder einer Hölle, die unkonventionelle Wünsche und tiefste Wunden aufzeigt. Selbst immer stets Mensch seiner Zeit befand sich auch Bosch in einem Fadennetz der realen und der spirituellen Welt. Von Religion und Kirche geprägt, waren seine Inspirationen stets biblischer Natur. Im Gegensatz zu seinen Künstlerkollegen traute sich Bosch von der realen Darstellung abzuweichen und die unbewussten Machenschaften des menschlichen Innenlebens bloßzulegen. Mit seinen aufrüttelnden Bildern, die als visuelle Warnmeldungen fungieren, in denen hybriden Kreaturen und erfundene Figuren durch ein Leben in Laster und Leid aufschrecken, ist Bosch zu einem Vorreiter für Generationen von Künstlern nach ihm geworden. Ob unbewusst oder bewusst, mit Absicht oder weil er nicht anders konnte: Weit vor allen anderen Kunstschaffenden lehnte Bosch rigide Regeln und Grenzen der akademischen Künste ab und präsentierte Altbewährtes im wahrlich neuen Gewand. Die Surrealisten des 19. Jahrhunderts, die von Sigmunds Freud Lehre des Unbewussten beeinflusst waren, verstanden Bosch deshalb als ersten modernen Maler. In den 1450er Jahren erblickte er als Jeroen Anthoniszoon van Aken in der niederländischen Stadt s-Hertogenbosch (damals Teil des Römischen Reiches) das Licht der Welt. Mit dem Annehmen seines Künstlernamens Hieronymus Bosch würdigte er seine Heimatstadt. Das genaue Geburtsdatum ist unbekannt. Sein Großvater Jan van Aken sowie sein Vater Anthonius van Aken waren ebenfalls Maler. Ansonsten wissen wir wenig über die van Akens. Unter Kunsthistorikern allgemein anerkannt ist lediglich, dass Hieronymus´Familie wohlhabend und gesellschaftlich etabliert war. Da keine Briefe, Zeugnisse oder Notizbücher von Bosch existieren, kann sowohl über seine Ausbildung als auch sein frühes Leben nur spekuliert werden. Aufgrund der Verbindung der Familienmitglieder zur Kunst, liegt es nahe, dass der Großvater und der Vater ihm das Malen beibrachten.
Wer war die Person hinter den apokalyptischen Visionen? Hieronymus Bosch ist den Kunsthistorikern im Großen und Ganzen ein Rätsel: Weder Charaktereigenschaften noch Ansichten über die Kunst oder persönliche Interessen sind überliefert worden. Hingegen gibt es immerhin Kenntnisse der wichtigsten Stationen seines Lebens. Trotz einiger verbliebenen Aufzeichnungen sind Details der Biographie und der Karriere des katholischen Malers dennoch umstritten. Ebenfalls ist die Menge der Werke, die erhalten geblieben sind, so klein und seltsam, dass keine eindeutigen Aussagen getroffen werden können. Assoziationen, die ihn in die Nähe der klassischen römischen Kunst oder flämischer Maler – beides künstlerische Kontexte seiner Zeit – bringt, sind zwar plausibel, bleiben aber reine Vermutungen. Doch keines der malerischen Einflüsse würde die radikale Abweichung von der Norm erklären, die Bosch in seinem Werk verwirklicht. Damalige Maler stellten in der Regel historische Tableaus her und illustrierten religiöse Szenen. Der mutige Bildermacher tat dies ebenfalls, konzentrierte sich jedoch auf eine außergewöhnliche Dekadenz in Form und Inhalt. Im Gegensatz zu seinen Malerkollegen, die weiche und gedeckte Farben nutzten, springen die leuchtenden Farbgebungen und starken Pinselstriche in Boschs Gemälden dem Betrachter förmlich ins Auge. Seine Hauptmotive waren meist Bibelszenen, die er mithilfe seiner Vorstellungskraft in bizarre Welten voller Absurdität, Horror und wilder Symbolik verwandelte. Der Erfolg in Europa stellte sich für ihn rasch ein. Der beliebte Niederländer erhielt Aufträge und agierte zusätzlich als Lehrer für Zeichnen und Malen. Es ist wahrscheinlich, dass Bosch nicht viel reiste, sondern hauptsächlich in seinem Anwesen intensiv und viel arbeitete. Das Haus war ein großzügiges Erbe der Familie seiner Ehefrau Aleyt Goyaerts can den Meerveen. Im Alter von 38 Jahren trat der gläubige Katholik Bosch der religiösen und damals sehr geschätzten Organisation Unserer Lieben Frau bei. Diese wohltätig agierende Bruderschaft kümmerte sich um die Förderung eines vorbildlichen Lebens.
Eine Auskunft über Boschs Platz in der Gesellschaft können die sachkundigen Referenzen zu unterschiedlichen christlichen Angelegenheiten in seinen Bildern geben. Zweifellos genoss er eine hohe Bildung. Als Künstler mit einem guten Ruf und Mitglied einer angesehenen karitativen Gruppe, könnte er es sich leisten die traditionellen Malrichtungen jener Zeit hinter sich zu lassen, um ethische Themen sowie innere Konflikte des Menschen mit Originalität und überbordendem Einfallsreichtum zu illustrieren. Bosch folgte nicht der Riege der Renaissancekunst und löst dadurch bis heute Erstaunen aus: Was waren die Beweggründe hinter diesen kreativen Schöpfungen und apokalyptischen Botschaften? Spätere Arbeiten von ihm, die während der krisenhaften Zeit der Herrschaft von Karl dem Kühnen und Maria von Burgund angefertigt wurden, wurden nie aufgefunden. Obwohl bestätigt ist das der produktive Niederländer weiterhin malte, ist aus jener Zeit lediglich ein Selbstporträt erhalten geblieben – das einzige Selbstbildnis aus seinem künstlerischen Erbe. Mit nur acht Zeichnungen und 25 Gemälden ist dieser Nachlass im Vergleich zu der kulturellen Bedeutung, die ihm anhaftet, erstaunlich klein. Wie so oft in der Geschichte der Menschheit fiel auch Boschs andersartige Kunst der Zensur und Zerstörung anheim. Was die Einen als revolutionäre religiöse Malerei feierten und in ganz Europa von begeisternden Zeitgenossen gesammelt wurde, war wiederum für Andere pure Provokation und obszöne Schamlosigkeit. Im 16. Jahrhundert wurden die als unmoralisch geltenden Bilder auf Anweisung der hochrangigen Mitgliedern der protestantischen Reformation vernichtet. Unter anderem wurden sechs der Werke des wegweisenden Malermeisters vom damaligen spanischen König Phillip II aufgekauft und damit vor der Vernichtung gerettet. Sie befinden sich heute im Museo del Prado in Madrid.
Interessanterweise war Hieronymus Bosch zu seinen Lebzeiten – auch wenn er von Anhängern und Schülern verehrt und nachgeahmt wurde – kaum populärer als seine Künstlerkollegen. Durch den unvergleichlichen archetypischen Stil seiner Bilder und die immer wiederkehrende Aktualität der Inhalte fand Boschs Kunst jedoch den Einzug in die moderne Popkultur. Vor allem das prominenteste Gemälde „Der Garten der irdischen Freuden″ diente mehreren Generationen von Kunstliebhabern und verschiedenen kulturellen Gruppierungen und Medienmachern als Inspiration: von den psychedelischen Kreisen der 1960er über zeitgenössische Regisseure wie George Lucas bis hin zu digitalen Nomaden der Neuzeit, beispielsweise Carla Gannis. Selbst die angesehenen Modemarken Valentino, Christian Dior und Alexander McQueen, Entwickler von Computerspielen und die gelbe Comicfamilie „Die Simpsons″ haben schon Bezug auf die faszinierende Bilderwelt des hochbegabten Niederländers genommen. Boschs Kunstwerke umgeben über die Jahrhunderte hinweg eine einzigartige Zeitlosigkeit, denn auf der menschlichen Bühne spielen sich im Großen wie im Kleinen archaische Konzepte von Gut und Böse und existenzielle Konflikte immer wieder neu ab. Zusätzlich trägt der Mythos um den Menschen Hieronymus Bosch zur anziehenden Wirkung der Bilder bei. Trotz ihrer Unergründlichkeit und unheimlichen Atmosphäre sprechen die absonderlichen Verflechtung von Mensch, Tier und Natur und die komplexen Kompositionen eine Sprache, die fortwährend bis heute Menschen weltweit auf tiefste Weise berührt.