Rebellisch und absolut ehrlich: Auf diese Weise lassen sich das bahnbrechende Gesamtwerk und das kurze Leben von Paula Modersohn-Beckers beschreiben. Die Biografie der deutschen Malerin enthüllt die Einschränkungen, die noch um das 20. Jahrhundert für Frauen existierten. Eindrucksvoll legte Modersohn-Becker mit ihrer Art sowie mit ihren Bildern einen Grundstein für radikale Änderungen in der Kunstgesellschaft. Der Ausgangspunkt für ihre Werken war der schlichte Alltag: ihn zu untersuchen, daraus zu lernen und ihn bei Bedarf zu verbessern. Den Blickpunkt richtete Modersohn-Becker dabei auf die Lebenswelt und die Erfahrungen von Mädchen und Frauen jeden Alters. Ihre revolutionären Porträts von kleinen Kindern, jungen Müttern und älteren Damen sind behutsame Forschungen der mütterlichen Identität und der Übergänge im Altern. Jedoch ist die dabei erzeugte Intimität niemals voyeuristisch. Stattdessen erwarteten den Betrachter eine Welt, in der Frauen in ihrer Vielfalt wertvolle Wertschätzung und Faszination entgegengebracht wird. Nicht nur das Geheimnis der Mutterschaft und das Natürliche der Mutter-Kind-Beziehung strahlen bedächtig und einnehmend aus den Gemälden der Paula Modersohn-Becker hervor. Der Inhalt ihres Werkes ist vorrangig geprägt von einem Staunen über das Leben an sich.
Wenige Tage nach der Geburt ihres ersten Kindes starb Paula Modersohn-Becker im Alter von nur 31 Jahren. „Wie schade“, waren ihre letzten Worte – eine Wehmut über das viel zu kurze Leben. Doch ihre Kunstwerke voller malerischer Klarheit haben einen einzigartigen, unsterblichen Abdruck in der Kunstgeschichte hinterlassen.
Schon im frühen Kindesalter hatte Paula Modersohn-Beckers eine große Affinität zum Zeichnen und Malen. Später wurde die Aktmalerei zu ihrem Lieblingssujet. Oftmals stand sie sich selbst nackt Modell und durchbrach damit damalige Geschlechterrollen. Um aus der Malerei vollständig schöpfen zu können, lebte die Deutsche zeitweise in die Kulturstadt Paris. Ihr Ehemann lebte währenddessen weiterhin in Deutschland. Für verheiratete Paare im frühen 20. Jahrhundert war diese Konstellation sehr unkonventionell.
Paula Modersohn-Becker darf sich damit rühmen, die erste Person gewesen zu sein, die den Zustand der Schwangerschaft künstlerisch sichtbar machte. Heutzutage ist es üblich Schwangere in den Medien und in der Kunst zu sehen. Damals jedoch war das Abbilden von schwangeren Körpern im künstlerischen Kontext völlig neues Terrain und dementsprechend unbekannt. Modersohn-Becker hob die Schwangerschaft sowie das Stillen – ein ebenso tief greifendes Thema der Menschheit – als komplexe Zustände hervor, die in der Kultur zuvor tabuisiert oder gar übersehen wurden.
Paula Modersohn-Beckers höchste Priorität war die Malerei – zum Leidwesen ihres Privatlebens. Sie hatte Erfolg im Ausstellungswesen und konnte sich über Förderungen erfreuen. Doch ihre Partnerschaft zu Otto Modersohn war konfliktreich. Otto Modersohns Kritik an den Bildern seiner Ehefrau lassen die Frustration erahnen, die er als vernachlässigter Ehemann verspürte: „Ihre Vision ist so wenig weiblich und so vulgär.“
Eine traurige Parallele zwischen privater und politischer Unterdrückung ist die Tatsache, dass Paula Modersohn-Beckers Malereien im Jahre 1937 unter der Herrschaft der Nationalsozialisten in die Ausstellung der entarteten Kunst aufgenommen wurden.
Als Kind wuchs Paula in einem fordernden und kunstinteressierten Haushalt auf. Als drittes von sieben Kindern konnte sie von den strengen, aber fairen Eltern Carl Woldemar Becker und Mathilda Becker nicht viel Aufmerksamkeit erwarten. Mit der beruflichen Wahl der erwachsenen Paula waren die Eltern nicht einverstanden, duldeten es jedoch.
Paulas glückliche Kindheit wurde durchbrochen von mehreren traumatisierenden Verlusten. Ein kleiner Bruder sowie beide Großväter starben, als Paula zehn Jahre alt war. Zudem musste sie den Tod ihrer geliebten, gleichaltrigen Cousine miterleben. Paula Modersohn-Becker rekonstruierte als Erwachsene dieses prägende Ereignis wie folgt: „Im Moment ihres Todes versteckten Maid [eine Schwester des Opfers] und ich unsere Köpfe tief im Sand, um nicht zu sehen, was geschah. Ich sagte dann zu ihr, sie ist mein Vermächtnis. Und so ist sie geblieben. „In der Tat könnte das rege Interesse an Kinderporträts, die sie als reife Künstlerin malte, von diesem tragischen Erlebnis geprägt worden sein.
Im Alter von 16 Jahren zog Paula nach England zu ihrer Tante und ihrem Onkel. In London schrieb sie sich an der St. John’s Wood Art School ein. Aufgrund von Heimweh und Streitigkeiten mit den Verwandten kehrte die junge Studentin nach nur wenigen Monaten zurück in die Heimat. Ihr Interesse an der Malerei hatte sich zu diesem Zeitpunkt jedoch schon gefestigt. Auf Anraten ihrer Eltern besucht sie dennoch zuerst eine Gouvernantenschule und absolvierte die zweijährige Ausbildung. Während der Lehrjahre nahm Paula weiterhin an Kunstkursen teil und befreundete sich mit lokalen Künstlern.
Nach dem Abschluss studierte Paula zwei Jahre an der Schule der Vereinigung weiblicher Künstler in Berlin. In den Semesterferien hielt sie sich regelmäßig in der norddeutschen Künstlerkolonie Worpswede auf, deren Fokus auf der Landschaftsmalerei lag. Nachdem Paula 1898 die Kunstlehre abgeschlossen hatte, zog sie mit der Erlaubnis ihrer Eltern in die Kolonie ein. Der Gründer Fritz Mackensen wurde Paulas Mentor und wichtige Bezugsperson. In Worpswede fühlte sich die junge Malerin verstanden und blühte privat wie künstlerisch auf. Umso weniger verwundert es, dass sich der Worpswede-Maler Otto Modersohn in die lebensfrohe, unkonventionelle Schönheit verliebte. Das Paar war befreundet mit den bekannten Künstlern Heinrich Vogeler und Clara Westhoff, die ebenfalls in der Kommune lebten. 1900 zog es Paula erstmals nach Frankreich. Diese erste Reise war der Anfang ihrer lebenslangen Liebe zu Paris. Die deutsche Malerin hielt sich im Wechsel entweder im ländlichen Worpswede oder in der französischen Großstadt auf. In Paris belegte sie Kurse an der renommierten Académie Colarossi und der weltweit bekannten Ecole des Beaux-Arts. Beeinflusst von der französischen Malerei verschob sich Paulas künstlerischer Schwerpunkt von Naturabbildungen hin zu Aktstudien.
Zurück in Worpswede verlobte sich Paula mit Otto Modersohn. Ottos erste Ehefrau, mit der er ein Kind hatte, war erst drei Monate vor dem Verlobungsantrag verstorben. Paulas Eltern freuten sich, dass ihre Tochter in einer Ehe finanziell abgesichtert war. Paula jedoch schien nicht glücklich. Kurz nach der Verlobung brach sie nach Berlin auf, wo sie widerwillig Kochkurse belegte, um dem Bild einer guten Ehefrau zu entsprechen. In Wahrheit verbrachte sie die meiste Zeit mit dem berühmten Autor Rainer Maria Rilke, mit dem sie eine komplizierte Freundschaft pflegte. Erst nachdem Rilke Paulas Freundin Clara Westhoff ehelichte, heiratete Paula ihren Verlobten Otto Modersohn am 25. Mai 1901. Doch die gutbürgerlichen Pflichten einer Ehe setzten der freiheitsliebenden Malerin zu: „Ich habe in meinem ersten Jahr der Ehe viel geweint. Ich fühle mich so einsam wie in meiner Kindheit.“ Aus Tagebucheinträgen wird klar, dass Paula in Ottos Abwesenheit am glücklichsten war.
Um vor den ehelichen Enttäuschungen zu fliehen, konzentrierte sich die frisch Vermählte auf ihre Karriere. In ihrem fieberhaften Bedürfnis nach Eigenständigkeit reiste Paula Modersohn-Becker erneut nach Paris. Dort beschäftigte sie sich mit den Werken moderner Künstler, darunter Paul Gauguin und Paul Cézanne. Außerdem besuchte sie Ausstellungen und studierte in Museen die Gemälde alter Meister. Rilke machte Paula zu jener Zeit mit dem Künstlerstar Picasso und dem Bildhauer Auguste Rodin bekannt. Ihrem Ehemann Otto, der sie während ihres monatelangen Aufenthalts in Paris finanziell unterstützte, wurde allmählich bewusst, dass Paulas Wunsch Künstlerin zu sein über den romantischen Interessen und den ehelichen Verantwortlichkeiten stand.
Die letzten Jahre der kurzen Karriere von Modersohn-Becker standen ganz im Zeichen der Porträt- und Aktmalerei. Von den klassischen Naturthemen ihrer Worpswede-Zeit hatte sie sich deutlich entfernt. Otto Modersohn war als einer der Mitbegründer der Künstlergemeinde ein Verfechter der Landschaftsmalerei. Dass Paula sich nun auch noch von ihren gemeinsamen künstlerischen Wurzeln abwandte, brachte das Fass der ehelichen Konflikte zum Überlaufen. Übermannt von ihrer Sehnsucht nach der großen, lebendigen Kulturstadt sowie nach einer künstlerischen Unabhängigkeit, floh sie im Februar 1906 heimlich und mitten in der Nacht von Worpswede nach Paris. Nachdem sie sich ein Atelier eingerichtet hatte, arbeitete die eigensinnige Malerin intensiv an neuen Werke: In einem Jahr produzierte sie mehr als 80 Bilder. Es schien, als wäre ihr Entschluss alleine und selbstbestimmt in Paris zu leben, besiegelt. Die seltenen Besuche Ottos scheinen nicht von beiden Seiten gewollt gewesen zu sein, denn Paula konsultierte bald einen Scheidungsanwalt. Warum sie den Weg jedoch nie weiterging, könnte vielleicht nicht zuletzt daran liegen, dass sie finanziell von ihrem Ehemann abhängig war. Ottos Kritik an den Gemälden seiner Frau wurden zwar mit der Zeit immer boshafter, dennoch bemühte er sich um die Rettung der Beziehung. Im Oktober 1906 zog Otto ebenfalls nach Paris. Während Paulas privates Leben von ambivalenten Gefühlen überhäuft war, hatte ihre Künstlerkarriere eine vielversprechende Wendung genommen. Ihre Arbeiten wurden in mehreren Ausstellungen gezeigt und erhielten gute Kritiken. Zu ihrer Überraschung wurde Paula 1907 schwanger und kehrte mit Otto nach Worpswede zurück. Anfangs haderte die Vollblutkünstlerin mit der Schwangerschaft. In einem Tagebucheintrag stellte Paula später fest, dass eine Mutterschaft nicht das Ende ihrer malerischen Tätigkeit bedeuten musste.
Fälschlicherweise von ihrem Arzt angewiesen nach der Geburt im Bett zu ruhen, erlitt Paula achtzehn Tage nach der Entbindung eine tödliche Embolie. Als eine der wichtigsten Künstlerinnen der Moderne ging die deutsche Malerin Paula Modersohn-Becker in die Kunstgeschichte ein. Auch über einem Jahrhundert nach ihrem Tod sind die kraftvollen Aussagen ihrer Arbeiten so relevant wie damals.