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Die Rokoko-Ära in Frankreich – Heiterkeit zwischen Kitsch und Vollkommenheit

François Boucher - Der Triumph der Venus

Die Rokoko-Ära in Frankreich – Heiterkeit zwischen Kitsch und Vollkommenheit

Selten hat eine klassische Kunstrichtung so polarisiert wie das Rokoko. Die pompöse Stilrichtung vereinte den aristokratischen Idealismus des 18. Jahrhunderts mit der Lust zu aufwändigen Verzierungen und dekorativen Details. Charakteristisch für die Epoche sind neben den grandiosen Idealen auch die Fokussierung auf den adligen Lebensstil, der hauptsächlich aus heiterem Zeitvertreib und der Vorliebe für Prunk und Protz bestand. Die europäischen Rokoko-Meister waren die perfekte Verbindung von Dekorateur und bildender Künstler. Sie erschufen ein visuelles Lexikon, das zwar kurzlebig war (von 1725/33 bis 1775/83), jedoch außergewöhnlich ist.

Die Ästhetik der Lebenslust

Worum es den Rokoko-Malern ging, ist mit einem Wort zu beantworten: Lebensfreude. Beliebte Mittel für die Darstellung der kühnen Lebenslust waren Genrebilder. Unterteilt waren diese Gemälde in verschiedene Kategorien. Am erfolgreichsten waren die populären Fête Galante (zu Deutsch: galantes Fest), die freudige Festszenen in der freien Natur abbildeten. Darüber hinaus wurde der Hedonismus in erotischen Malereien festgehalten, die nur wenige zu Gesicht bekamen. Für moderne Augen mögen diese Bilder skurril wirken. Unter Zeitgenossen hatten sie jedoch einen exklusiven Wert. Für die breite Masse gab es Landschaftsbilder, die märchenhaft verschönerte Naturwelten zeigten. Traumhaft und wildromantisch wurden echte Landschaften fantasievoll mit pittoresken Details bereichert. Dabei achteten die Künstler akribisch auf jede kleinste Feinheit im Bild. Besonders interessant ist die Entstehung der Charaktermalerei: Gewöhnliche Menschen wurden in die Rolle großer historischer oder mythischer Persönlichkeiten versetzt und dementsprechend porträtiert.

Das Leben als Theaterkulisse

Ebenso durchsetzt von Drama und Theatralik wie die Malerei des Rokoko war ihre Architektur. Malerei und Baukunst griffen nahtlos ineinander. Das Theater – genauer: das Bühnenbild – war Inspirationsquelle der Architekten. Sie nutzten illusorische Stimuli, um in den unterschiedlichen Umgebungen bestimmte Atmosphären zu schaffen. Auf innovative Art und Weise wurden dekorative und malerische Komponenten in den Bau integriert. Ohnehin ist die obsessive Anwendung von dekorativen Verschönerungen Hauptmerkmal des Rokoko. Von den asymmetrischen Mustern über verzierte, vergoldete Stuckreliefs als Bilderrahmen bis hin zu skulpturalen und arabesken Elementen: Die Künstler und Architekten bedienten sich einer vielfältigen, reichen Auswahl an Methoden, um ihre Vision von Vitalität und Energie in die Realität umzusetzen.

Was Muscheln mit dem Rokoko zu tun haben

Der französische Zeichner und Juwelier Jean Mondon verwendete den Begriff „Rokoko“ zum ersten Mal in einem seiner Bücher aus dem Jahr 1736, das Darstellungen des verwendeten Stils beinhaltete. In der späten Renaissance wurden Muscheln und Kieselsteine in Stuck eingebettet, um eine dekorative Wirkung zu erzielen. Dieses Schmuckmaterial trägt im Französischen den Namen „Rocaille“, was mit Muschelarbeit oder Kieselsteinarbeit übersetzt werden kann. Abgeleitet von „Rocaille“ wurde „Rokoko“ nach und nach zum geflügelten Wort der damaligen Kunstszene.

Venedig und Fontainebleau

Die Anfänge des Rokoko sind in Italien zu finden. Hier dominierte ab der Mitte des 16. Jahrhunderts bis ins 17. Jahrhundert hinein die venezianische Schule. Diese war ein Verbund von Renaissance-Künstler, die vor allem für ihre farbenfrohen Gemälde mit erotischen Themen bekannt war. Ihr bekanntestes Mitglied war der Maler Tizian. In seinen idealisierten Landschaften frohlocken und musizieren nackte Frauen und adlige Männer. Diese und ähnliche Bilder von ausgelassenen Szenen im Freien waren Vorläufer der Fête Galante des Rokoko.
Die Schule von Fontainebleau (1528-1630), die von dem italienischen Künstler Rosso Florentino auf Geheiß von König Franz I. gegründet wurde, hatte ebenfalls einen großen Einfluss auf die Künstler des Rokoko. Der königliche Kunstliebhaber bestellte Rosso an den französischen Hof, um einen Hauch von dekadenter Einzigartigkeit in das höfische Leben zu bringen. Dabei wurde nichts dem Zufall überlassen: Rossa akzentuierte, dekorierte und verzierte die gesamte Einrichtung mit genau ausgearbeiteten Motiven und achtete darauf, dass alles eine harmonische Einheit bildet. Die Fontainebleau-Schule war bekannt für ihre meisterhaften Vergoldungen, die in den Rokoko-Interieurs der Aristokratie einen Comeback feierten.

Französisches Rokoko

Trotz der Ursprünge in Italien wurde Frankreich das Zentrum des Rokoko. Während die Interieurbranche boomte, blieb der wesentlicher Bestandteil der Bewegung die Malerei. Vorreiter waren die Künstler Jean-Antoine Watteau und François Boucher. Die Malergenies beeinflussten eigenhändig die Mode, die Einrichtungen und die Designmotive ihrer Zeit. Weitere französische Rokoko-Künstler waren Jean-Marc Nattier, Jean-Baptiste van Loo und François Lemoyne. Letzterer bekannt geworden durch seine allegorischen und historischen Bilder, die er unter anderem im Schloss Versailles an die Wände und Decken malte. Darüber hinaus beeinflussten große Künstlerfamilien, beispielsweise die Coypels, mit ihrem Stil ganz Frankreich. Diese einheitlichen Werkstätten waren bezeichnet für das französische Rokoko.

Jean-Antoine Watteau

In einem kleinen Dorf in Frankreich wuchs der spätere Rokoko-Künstler Jean-Antoine Watteau auf. Sein Talent fiel dem örtlichen Maler auf, der ihn unter seine Fittiche nahm. Nach der künstlerischen Ausbildung in der Provinz, wagte sich der junge Watteau in die große Stadt. In Paris verdiente er seinen Lebensunterhalt, indem er Werke von Tizian und Veronese kopierte und verkaufte. Als er im Atelier des Künstlers Claude Audran arbeitete, wurden seine eigenen Bilder theatralischer und detaillierter. Sein Gemälde mit dem Titel „Einschiffung nach Cythera“ von 1717 wird als Startpunkt des Rokoko-Zeitalters bezeichnet. Da Watteau Mitglied der renommierten Académie Royale de Peinture et de Sculpture war, prägte er die Kunstszene Frankreichs aktiv mit. Begriffe wie Fête Galante stammen aus der Feder dieser Akademie. Sie legten auf diese Weise die Kategorien fest, die dominierende Aspekte der Rokoko-Kunst sein sollten. Dabei legte die Akademie besonders viel Wert auf historische Malerei und mythologische Inhalte.

François Boucher

Obwohl Watteau eine der bekanntesten Künstler des Rokoko war, gelang es dem Maler François Boucher diesen Ruhm zu übertrumpfen. Dies mag wohl an Bouchers thematischer Akzentuierung liegen. Der Franzose bildete zwar aristokratische Eleganz ab, verband diesen jedoch zusätzlich mit einem erotischen Anstrich, der für damalige Verhältnisse skandalös und provokant war. Nichtsdestotrotz traf er damit den Nerv der Zeit. 1765 wurde er offizieller Maler des Königs und arbeitete von da an eng mit Madame de Pompadour, der Schutzpatronin der Künste, zusammen. Wird heutzutage von Rokoko gesprochen, ist der Name Boucher Programm, da seine Gemälde den Geschmack der Epoche hervorragend repräsentieren.

Die Patin des Rokoko

Jeanne-Antoinette Poisson ging unter dem Namen Madame de Pompadour in die Kunstgeschichte ein. Die erste offizielle Geliebte des Königs gilt als treibende Kraft hinter der Etablierung von Paris als europäische Kulturhauptstadt. Zudem beteiligte sie sich an der Förderung von Rokoko-Künstler. So hatte beispielsweise der grandiose Bilderhauer Jean Baptiste Pigalle seinen Erfolg Poission zu verdanken. Durch ihre hohe Position am Hof hielt sie eine zentrale Rolle in der königlichen Schirmherrschaft über die Kunstschaffenden inne. Außerdem fädelte sie geschickt familiäre und künstlerische Interessen zusammen. 1750 schickte die edle Dame ihren Neffen nach Italien, wo er Kunst studieren sollte. Abel-François Poisson de Vandières kam als begeisterter Neoklassizist zurück in die Heimat. Anders als seine Tante verurteilte er den Stil des talentierten Malermeisters Boucher und der Rokoko-Künstler. Mit dieser Meinung stand er nicht alleine da: Der bekannte Denker und Kunstkritiker Diderot teilte die Behauptung, dass die gesamten Rokoko-Bewegung aus oberflächlichen Hedonisten bestand, die dekadente Kunst machten. In der Tat fiel das Rokoko in Frankreich zunehmend in Ungnade bis es um 1780 aufgrund von revolutionären Tendenzen in der Politik vollständig verdrängt wurde. Heldentum, Tugend und Moral standen nun auf der Agenda der Künste. Die Malerei der frivolen Festszenen und übertriebenen Verschnörkelungen hatte nach nur wenigen Jahrzehnten ausgedient. Die neue Künstlergeneration – allen voran der Künstler Jacques-Louis David – spottete den Rokoko und Madame de Pompadour.

Geschmacklos blumig oder unerreicht kunstvoll

Infolge seines rapiden und brutalen Abstiegs fand das Rokoko lange Zeit keine große Beachtung. Das französische Wörterbuch aus dem Jahre 1902 bezeichnete den Stil gar als prätentiös und geschmacklos. Bis in das 20. Jahrhundert setzten sich zu Unrecht negative Konnotationen wie „blumig“ oder „übertrieben“ fort. Neu bewertet wurde das Rokoko erstmals in der Moderne. Wahrscheinlich passte die überbordende Lebensfreude der Rokoko-Ära ideal zu Amerikas aufblühender Disco- und Partyszene. Pop Art-Künstler wie Damien Hirst, Jeff Koons und Kehinde Wiley schufen einen neuen Kontext für die postbarocke Bewegung. Sie brachten die Idee von Maßlosigkeit und Übertreibung sowie die Frage nach individuellem Geschmack und Trends wieder ins Gespräch. Eine stilistische Bezugnahme fand auch in Ai Weiweis Logos (2017) statt, wo popkulturelle und politische Inhalte einer schicken Rokoko-Tapete ähneln. Ebenfalls schwärmen die zeitgenössischen Künstler Lisa Yuskavage, Kent Monkman und Yinka Shonibare für das Rokoko, was beweist: Kunst ist und bleibt Geschmackssache.

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