Der niederländische Maler Piet Mondrian und die berühmtesten Farbquadrate der Welt
Nur wenige Gemälde wurden weltbekannt. Das Werk mit dem beschreibenden Titel „Composition with Large Red Plane, Yellow, Black, Gray, and Blue“ (1920) von Piet Mondrian ist mit Sicherheit eines davon. Auf radikale Weise vereinfachte der Begründer der niederländischen Kunstbewegung De Stijl die Bildelemente auf seinen Leinwänden. Mondrians ikonische Bilder seiner Spätphase zeigen auf Linien und Rechtecke reduzierte Formen in den Grundfarben. Hinter den methodischen Praktiken verbergen sich jedoch keineswegs rein rationale Beweggründe, die man vermuten könnte. In Wirklichkeit stammte die Inspiration für die abstrakten Kompositionen von spirituellen Lehren mit denen sich der Holländer eingehend beschäftigte. Nur wenige wissen, dass der universell ansprechenden Ästhetik seiner Ölmalereien eine buddhistisch-esoterische Ausrichtung zugrunde liegt. Sowohl die prinzipielle Abstraktion als auch die kompositorische Verwendung von asymmetrischer Balance waren entscheidende Wegweiser für die moderne Kunstentwicklung. Noch heute sind Mondrians Einflüsse auf die Popkultur, Design und Kunst zu sehen.
Ambitionen und Angewohnheiten
Pieter Cornelis Mondriaan Jr. und seine vier Geschwistern wuchsen in Zentralholland in einem streng religiösen Elternhaus auf. Dennoch stand neben dem Glauben sowohl die musikalische als auch die künstlerische Erziehung stets im Vordergrund. Piets Vater war Lehrer an einer kleinen Grundschule im Dorf. Seine wahre Leidenschaft galt jedoch der Malerei. Als ambitionierter Amateurkünstler förderte er die Talente seines Sohnes und erteilte ihm Zeichenunterricht. Das Lehrfach Malen übernahm der Bruder seines Vaters, der eine Künstlerkarriere eingeschlagen hatte.
Durch das frühe Training und den regen Kontakt mit begeisterten Malern war dem kleinen Piet schnell klar, welchen Beruf er ausüben würde. Im Jahr 1892 zog er als junger Mann in die Großstadt Amsterdam und begann sein Studium an der Rijksakademie van Beeldende Kunsten. Damals ging es während der dreijährigen Ausbildung hauptsächlich noch um das Kopieren alter Meister und das Zeichnen nach dem Modell. Sein Leben lang behielt Mondrian die Angewohnheit bei, Kopien von Museumsmalereien anzufertigen. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, gab Mondrian nach dem Studium in seinem Atelier privaten Zeichenunterricht.
Um 1900 malte der talentierte Niederländer traditionelle Landschaftsgemälde, die seinen Sinn für Licht und Drama enthüllen. Doch in Mondrian wuchs der Drang, seine Werke grundlegend zu transformieren. Von Künstlerkollegen Jan Toorop inspiriert, tummelten sich fortan auf seinen Leinwänden ausdrucksvolle Farben und sichtbare Pinselstriche im Stil von Vincent van Gogh. Mondrian versuchte sich auch im Pointillismus, ähnlich dem von George Seurat. Vor allen Dingen aber liebte er den französischen Postimpressionismus. Schon in Mondrians Frühwerk ist zu erkennen, dass Mondrian sich seriell mit einzelnen Themen befasste, anstatt sich auf eine Thematik pro Bild zu beschränken. Diese Vorgehensweise war ein wichtiger Schritt in seiner Entwicklung zum abstrakten, reifen Maler.
Einflüsse: Theosophie und Kubismus
Mondrian verstand sich als Denker. Somit war für ihn die Kunst eng mit den Geisteswissenschaften verbunden. In seinen produktivsten Jahren studierte er die Größen der Philosophie. Zusätzlich schrieb er selber theoretische Abhandlungen. Im Alter von 37 Jahren wurde der schreibende Maler Mitglied der Theosophischen Gesellschaft. Am Anfang des 20. Jahrhunderts erfreute sich die esoterisch-spirituelle Organisation, die sich auf buddhistische Lehren berief, einer großen Beliebtheit in Europa. Sichtlich beeindruckt von den theosophischen Erzählungen über Tod und Wiedergeburt, malte Mondrian ein imposantes Werk mit dem Titel „Evolution“ (1910/1911). In Mondrians eigenen Worten erklärt er seine Spiritualität wie folgt: „Die ganze Zeit bin ich zum Spirituellen getrieben. Durch die Theosophie wurde mir bewusst, dass Kunst einen Übergang zu den feineren Regionen ermöglichen kann, die ich das spirituelle Reich nennen werde.“ Obgleich Mondrian sich im Laufe der Jahre mit anderen Gruppenmitgliedern zerstritt, hatte die Theosophie einen bleibenden Eindruck auf sein Leben und seine Arbeit hinterlassen. Die Fragestellung hinter seinem Wirken blieb fortan dieselbe: Wie kann ein Künstler reine Harmonie darstellen? Mondrians Antwort auf diese Frage waren Bildern, die zwischen Balance und Spannung von Farbe und Form wechseln.
Der Aufstieg des Kubismus markiert einen bedeutenden Wendepunkt in Mondrians künstlerischer Laufbahn. Zwei Jahre nach dem Eintritt in die Theosophische Gesellschaft begab sich der Niederländer nach Paris. Im Zentrum der Avantgarde entdeckte er die Werke von Picasso, Braque und anderen kubistischen Meistern. Vom Zeitgeist geprägt, machte Mondrians Malerei eine radikale Änderung durch. Mondrians Bilder wurden nach und nach abstrakter. Mithilfe des modernen Stils des analytischen Kubismus konnte er Landschaften in Linien und Formen auflösen, indem er Bäume oder Häuser schematisch abstrahierte. Besonders oft nutzte er die sogenannten kubistischen Gitter. Zusätzlich bediente er sich einer typisch kubistischen Farbgebung. Vorrangig kamen Grau, Gelb- und Brauntöne zum Einsatz. Dies lässt sich an Mondrians Werk „Der graue Baum“ (1912) gut erkennen. Dennoch hatte seine Arbeit einen entscheidenden Unterschied gegenüber dem herkömmlichen Kubismus: Anders als Kubisten wie Picasso, der dreidimensionale Malereien mit illusionistischer Tiefe herstellte, betonte der Niederländer die Zweidimensionalität der Malfläche.
Eine Vision der Moderne entwickelt sich
Während dem Ersten Weltkrieg befand sich Mondrian in der Heimat, um sich um seinen schwer kranken Vater zu kümmern. Getrennt von der avantgardistischen Kunstbewegung in Paris, entwickelte er seinen abstrakten Stil zu Hause weiter. Denn auch fern der französischen Hauptstadt schlugen Künstler visionäre Wege ein. Mit der Zeit verschwanden alle geschwungenen Linien und gegenständlichen Objekte aus Mondrians Bildern. Je brutaler der Krieg wütete, desto ungegenständlicher wurden die Bilder des Malers. Gemeinsam mit dem Architekten Theo van Doesburg war Mondrian ab 1917 der Herausgeber der Zeitschrift De Stijl (zu Deutsch: der Stil). Unter dem Begriff „De Stijl“ sammelten sich neben den beiden Kunstfreunden weitere progressive, holländische Künstler, Designer und Architekten zu einer Bewegung zusammen. Das Ideal der Gruppe war die totale Abstraktion, die für ihre Mitglieder Ordnung und Harmonie in eine zerrüttete, vom Krieg zerstörte Welt brachte. Im Magazin veröffentlichten die Kunstschaffenden neben ihren eigenen Werken Essays über die Notwendigkeit der Vereinfachung in der (abstrakten) Kunst.
1919 kehrte Mondrian in sein geliebtes Paris zurück und erschuf dort im Alter von 47 Jahren die Bilder, die seine berühmtesten werden sollten. Während andere Kunstbewegungen wie der Surrealismus und Dada ganz Europa eroberten, bliebt Mondrian seinen Idealen von Harmonie und Ordnung treu. Dies zahlte sich aus, denn immer mehr wohlhabende Sammler wurden auf seine Gemälde aufmerksam. Indem er die traditionelle, akademische Kunst ablehnte, richtete sich Mondrians Fokus auf eine Darstellung der Realität, die er selbst Neoplastizismus nannte. Diese neue plastische Kunst beschränkte sich auf die Grundelemente: waagerechte und senkrechte Linien, die Grundfarben (gelb, rot, blau, grau, schwarz, weiß) und rechte Winkel.
Noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zog Mondrian nach England. In London freundete er sich mit der amerikanischen Kunstmäzenin Peggy Guggenheim an. Womöglich weckte diese Freundschaft in ihm den Wunsch in die USA, das Land der unbeschränkten Möglichkeiten, zu ziehen. 1940 ließ sich Mondrian in New York nieder, wo seine Werke unter anderem in der Galerie „This Century“ ausgestellt wurden. Guggenheim führte den reifen Künstler in die Avantgarde-Szene New Yorks ein, wo er sich den aufstrebenden „American Abstract Artists“ anschloss. Dabei lernte er von den US-Amerikanern ebenso viel wie sie von ihm. Mondrians Bildsprache erweiterte sich erneut. Doppellinien; schwarze Raster und pulsierende Farbquadrate wurden zu seinen Markenzeichen. Die energischen und komplexen Kompositionen spiegelten sein Leben in der lauten, hektischen Weltmetropole wider. Beispielhaft dafür ist sein Gemälde mit dem Titel „Broadway Boogie-Woogie“ von 1943.
Der Minimalismus seiner Malerei durchdrang auch seine Lebenswelt. Mondrian heiratete nie, lebte mit wenigen, einfachen Besitztümern und empfand sich selbst dennoch als zufriedenen Menschen. Bis zu seinem Tod im Alter von 71 Jahren im Jahre 1944 widmete der ehrgeizige und fleißige Künstler die meiste Zeit seiner Arbeit.
Schon während Mondrians Lebzeiten war seine Einwirkung auf die Kunst deutlich zu spüren. Die Bedeutung seines Gesamtwerks lässt sich gut an Kreative nach ihm, die sich auf ihn beziehen, erkennen. Mondrians minimalistische Ästhetik galt als offizielle Inspirationsquelle der Bauhaus-Künstler. Insbesondere Mondrians Vereinfachung von Formen und Farben hinterließen Spuren in den Lehrplänen der Schule. In den 1960er Jahren entwickelte sich die Minimalismus-Bewegung, die sich mit ihrer reduzierten Farbpalette unter dem Motto „Weniger ist mehr“ auf den begnadeten Maler Mondrian beriefen. Die weitreichende Durchschlagskraft seiner Werke zeigt sich auch in der postmodernen Zeit in den Kollektionen des Modedesigners Yves Saint Laurent, auf dem rot-weißen Albumcover der Band „The White Stripes“ oder im Stil von Hotels in New York, Miami und Los Angeles, die sich mit dem Namen Mondrian schmücken dürfen.