Meisterdrucke Blog

Artemisia Gentileschi – Das außergewöhnliche Leben und Wirken der ersten erfolgreichen Künstlerin des Westens

Artemisia Gentilesch - Der Triumph der Galatea

Artemisia Gentileschi – Das außergewöhnliche Leben und Wirken der ersten erfolgreichen Künstlerin des Westens

Noch bis in die Moderne hinein hatten es weibliche Kunstschaffende im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen deutlich schwerer sich einen Namen zu machen. Vor dem 17. Jahrhundert war dies sogar schier unmöglich, da die bildenden Künste reine Männerdomänen waren. Die erste Künstlerin, die zu Lebzeiten einen großen Bekanntheitsgrad erreichte, war die Italienerin Artemisia Gentileschi. Ihr Erfolg konnte mit dem Ruhm eines Mannes in ähnlicher Position verglichen werden. Nicht nur deshalb stellen Kunsthistoriker Gentileschi mit Malern wie Caravaggio gleich. Auch Gentileschis handwerkliche Fertigkeiten und die Originalität ihrer Gemälde konnten sich mit denen der großen Meister messen. Dank ihrer spannungsgeladenen Bildinhalte und ihrer einzigartigen Biografie gehört Artemisia Gentileschi zu den interessantesten Künstlerpersönlichkeiten ihrer Generation.
Ihre Malerei erzeugt durch einen mitreißenden Realismus und gelungene Hell-Dunkel-Kontraste eine einzigartige Dramatik. Gentileschi nutzte ihr Alleinstellungsmerkmal als weiblicher Künstler und rückte die Lebensgeschichten von Frauen in den Mittelpunkt ihrer Gemälde. Ihre erhaltenen Werke zeigen eine intime Perspektive auf die gesellschaftlichen Normen und Werte jener Zeit. Jahrhunderte vor der Entstehung des Feminismus legte das italienische Ausnahmetalent einen künstlerischen Fokus auf die Geschichten und die Handlungsfähigkeit von Frauen.

Darstellung von Frauen aus weiblicher Sicht

Gentileschis Gesamtwerk ist vom Realismus geprägt. Im Laufe ihrer Karriere perfektionierte sie ehrgeizig die Verwendung von Farbe und Textur, um möglichst eine realistischere Wiedergabe von Haut und Stoffen zu erzielen. Ihre realitätsgetreuen und dynamischen Kompositionen machten die Italienerin über die Landesgrenzen hinweg bekannt. Der Inhalt ihrer Gemälde polarisierte jedoch: Die eigensinnige Malerin untergrub traditionelle Darstellungen von Frauen. Stattdessen stellte Gentileschi ihre Protagonistinnen aus biblischen und mythologischen Erzählungen als tatkräftige Heldinnen dar, die selbstbestimmt über ihr Leben entschieden. Da sie die berühmten Figuren auf neue Art und Weise porträtierte, strahlten diese eine Macht aus, die ihnen von anderen Malern verwehrt wurde. Gentileschi selbst war ebenfalls eine starke Person, die sich nicht als passives Opfer verstand. Im Leben wie in der Kunst vertrat sie ihre Meinungen und wurde dafür von Zeitgenossen sowohl geschätzt als auch mit Argwohn bedacht.

Schwerer Start

Artemisia Gentileschi wurde 1593 in Rom geboren. Ihr Vater war der damals sehr beliebte und erfolgreiche Maler Orazio Gentileschi. Als Lieblingskind hatte die kleine Artemisia schon früh das Glück in seinem Atelier zu arbeiten und von ihm das Malen und Zeichnen zu erlernen. Da sie schon als Kind eine außerordentliche Begabung zeigte, förderte Orazio seine älteste Tochter mit großem Wohlwollen. Ein enger Verbündeter Orazios war der berühmte Maler Caravaggio. Höchstwahrscheinlich kannten sich der provokante Künstler der Elite Roms und Artemisia. Unabhängig davon ist ein Einfluss von Caravaggios Kunstwerken in den Arbeiten der Familie Gentileschi deutlich zu erkennen.
Im Jahre 1611 arbeitete Orazio Gentileschi zusammen mit dem Maler Agostino Tassi an einer Auftragsarbeit für das Palazzo Pallavicini-Rospigliosi in Rom. Da die Männer ein vertrauliches Verhältnis pflegten, bat Orazio seinen Kollegen Artemisia Malstunden zu geben. In diesen Sitzungen verging sich Tassi an der 17-Jährigen, die zu diesem Zeitpunkt noch Jungfrau war. Als erwachsene Frau beschreibt Artemisia diese traumatisierende Situation wie folgt: „Dann warf er mich auf die Bettkante, drückte mich mit einer Hand auf meine Brust und legte ein Knie zwischen meine Schenkel, um mich daran zu hindern, sie zu schließen. Er hob meine Kleidung und legte eine Hand mit einem Taschentuch auf meinem Mund, um mich vom Schreien abzuhalten.“
Da es damals üblich war das Vergewaltigungsopfer mit dem Täter zu verheiraten, glaubte Artemisia eine Beziehung mit dem älteren Mann eingehen zu müssen. Dieser weigerte sich jedoch sie zur Frau zu nehmen. Orazio traf die ungewöhnlich progressive Entscheidung, seinen ehemaligen Freund wegen Vergewaltigung anzuklagen. Der qualvolle Prozess dauerte mehrere Monate. Während dieser Zeit wurden skandalöse Details enthüllt, darunter die Anschuldigung, dass Agostino Tassi seine Ehefrau umgebracht hatte. Artemisia wiederum musste sich im Rahmen des Gerichtsverfahrens einer primitiven, gynäkologischen Untersuchung unterziehen, um zu klären, ob sie zum Zeitpunkt der Vergewaltigung tatsächlich eine Jungfrau gewesen war. Darüber hinaus wurde die junge Frau gefoltert. Als barbarisches Mittel dienten Fingerschrauben. Die damalige Justiz glaubte mittels Anwendung von Folter zu erkennen, ob Aussagen der Wahrheit entsprachen. Zu ihrem Glück erlitt Artemisia keine dauerhaften Schäden, die für ihre Malertätigkeit verheerend gewesen wären. Dank der familiären Unterstützung und ihrem starken Charakter blieb Artemisia standhaft und sagte mutig und entschlossen gegen Tassi aus.
Schlussendlich wurde Tassi für schuldig gesprochen und als Strafe aus Rom verbannt. Da der Maler allerdings unter der Gunst des Papstes stand, konnte er unter seinem Schutz weiterhin als freier Mann in Rom bleiben.
Die Ungerechtigkeit, die Artemisia in jungen Jahren widerfahren ist, verarbeitete sie später in zahlreichen Bildern, auf denen Frauen von Männern überfallen werden oder an Männern Rache ausüben.
Nur einen Monat nach Prozessende wurde Artemisia dem Künstler Pierantonio Stiattesi als Ehefrau versprochen. Das Paar zog nach Florenz. In ihrer neuen Heimat erhielten sie Auftragsarbeiten, die sie gemeinsam ausführten, beispielsweise für eine Wandmalerei in der Casa Buonarotti.

Höhen und Tiefen

Das Leben und Arbeiten in Florenz gestaltete sich für Gentileschi positiv. Sie erholte sich von den mühsamen Monaten in Rom und wurde sogar als erste Frau in die angesehene Accademia delle Arti del Disegno (zu Deutsch: Akademie der Künste und der Gestaltung) aufgenommen. Dies war nicht nur eine große Ehre, sondern ermöglichte es ihr, ohne die Erlaubnis ihres Mannes künstlerisch tätig zu sein. Anders als es zu der damaligen Zeit üblich war, konnte Gentileschi nun eigene Verträge eingehen und unterschreiben. Zusätzlich sicherte sich die Wahl-Florenzerin eine großzügige, finanzielle Unterstützung von Cosimo II de’Medici, einem reichen Großherzog der Toskana und Mitglied der prominenten Mäzen-Familie Medici. Artemisia fertigte mehrere Auftragswerke für Cosimo an.
Im Alter von 25 Jahren wurde Artemisia Mutter. Zu etwa dieser Zeit begann sie eine Affäre mit Francesco Maria di Niccolò Maringhi, einem Adligen aus Florenz. Die Briefe, die diese leidenschaftliche Romanze dokumentieren, sind 2011 vom italienischen Akademiker Francesco Solinas entdeckt worden. Aus der Korrespondenz geht hervor, dass Artemisias Ehemann Stiattesi die Liebelei ungewöhnlicherweise duldete. Da Maringhi Artemisia und ihre Familie finanziell unterstützte, ließ sich Stiattesis – wohlwissend, dass er an den Geldsorgen seiner Familie Schuld war – auf die unkonventionelle Dreiecksbeziehung seiner Frau ein. Nachdem sich Gerüchte von finanziellen Schwierigkeiten und Artemisias Affäre breit gemacht hatten, trennte sich das Ehepaar dennoch. Artemisia kehrte ohne Stiattesis nach Rom zurück. Dort arbeitete sie mit anderen Künstler zusammen, unter anderem mit dem Maler Simon Vouet. Dennoch blieb der erwünschte Erfolg aus. Im Wanderstil setzte sie ihr Leben mit ihrer Tochter ohne ihren Ehemann fort. Auf der Suche nach neuen Auftragsgebern verbrachte Gentileschi einige Zeit in Venedig. 1630 zog sie nach Neapel und arbeitete auch hier gemeinsam mit einer Reihe an bekannten Künstlern, darunter Massimo Stanzione.

Aufenthalt in England

In der Zwischenzeit war Artemisias Vater Hofmaler am Hof von Charles I. in London geworden. Unter seinen Zeitgenossen hatte er es als einziger italienischer Maler geschafft sich in England als Künstler zu etablieren. Auf Einladung ihres Vaters reiste Gentileschi mit ihrer Tochter in die englische Hauptstadt. Zum Zeitpunkt ihres Wiedersehens hatte sie sich 17 Jahren nicht gesehen.
Von der neuen Umgebung und der Lebendigkeit der großen Stadt inspiriert, erlangte Artemisia ihre gewohnte Schöpfungskraft wieder. Ihre berühmtesten Gemälde wie das Selbstporträt von 1638 entstanden in London. Außerdem arbeitete Orazio kurz vor seinem Tod im Alter von 75 Jahren an einem Wandgemälde für die Residenz der Königin Henrietta Maria, an dem Artemisia möglicherweise mitgewirkt hatte.
Nach dem Tod ihres Vaters blieb Artemisia einige Jahre in England. Als 1642 ein Bürgerkrieg ausbrach, kehrte sie nach Italien zurück. Über ihre folgenden Lebensjahre ist wenig bekannt. Einige Korrespondenzen mit ihrem Gönner Don Antionio Ruffo bezeugen, dass die Malerin sich hauptsächlich in Neapel aufhielt und noch sehr produktiv war. Todesgrund und -datum sind ungewiss. Da in Neapel um 1656 die Pest wütete, wird spekuliert, dass sie zeitnah an der Krankheit gestorben sein könnte – zumal nach 1656 keine weiteren Dokumentationen über oder von Artemisia Gentileschi existieren.

Das Vermächtnis einer der ersten erfolgreichen Künstlerinnen

Zu Lebzeiten war Artemisia eine zwar kontroverse, aber bekannte und angesehene Person. Nach ihrem Tod tauchte sie dennoch in kaum einem kunsthistorischen Bericht auf. Grund dafür ist, dass viele ihrer Werke fälschlicherweise ihrem Vater zugeschrieben wurden. Beide Künstler hatten einen sehr ähnlichen Stil. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Artemisias Werk wiederentdeckt und insbesondere von Caravaggio-Experte Robert Longhi in den Mittelpunkt gerückt. Dem Zeitgeist verschuldet war sowohl die akademische als auch die öffentliche Deutung ihrer Werke geprägt von übertrieben sexualisierten Sichtweisen. Noch dazu verstärkte ein Roman über Artemisias Leben (geschrieben von Longhis Ehefrau Anna Banti) diese sensationslüsternen Interpretationen.
Kunsthistorikerinnen mit feministischem Hintergrund bewerteten in den 1970ern und 1980ern Gentileschis Gesamtwerk neu. Sie konzentrierten sich auf die Wirkung der italienischen Malerin auf die Kunstgeschichte und weniger auf ihre Biografie. 1976 beschreibt die Kunstprofessorin Ann Sutherland Harris im Katalog zur Ausstellung „Women Artists: 1550–1950″ Artemisia Gentileschi als ‚erste Frau in der Geschichte der westlichen Kunst, die einen bedeutenden und unbestreitbar wichtigen Beitrag zur Kunst ihre Zeit lieferte.‘

02.07.2021

Die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren: Der Orientalismus im 19. Jahrhundert aus dem Blickwinkel westlichen Maler

Die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren: Der Orientalismus im 19. Jahrhundert aus dem Blickwinkel westlichen Maler Wenn es eine historische Kunstbewegung gibt, die dem modernen Fantasy-Genre ähnelt, dann ist es der Orientalismus. Der Orient war für Europäer des 19. Jahrhunderts ein Ort von begehrenswerter Exotik, faszinierender Erotik und mystischer Geschichten. Mit einer mitreißenden Manier malten die Künstler des Orientalismus eindringliche Landschaften, […]
02.07.2021

Die expressionistische Bewegung „Der Blaue Reiter“: Durch Kunst zur spirituellen Transzendenz

Die expressionistische Bewegung „Der Blaue Reiter“: Durch Kunst zur spirituellen Transzendenz Im frühen 20. Jahrhundert begann in München einer der bekanntesten Pionierbewegungen des Expressionismus in Deutschland. Unter dem malerischen und geheimnisvollen Namen „Der Blaue Reiter“ vereinten sich mehrere abstrakt malende Künstler, die sich stark von dem figurativen Stil der zeitgleich agierenden Dresdner Künstlergruppe „Die Brücke“ unterschied. Im Sinne des Zeitgeists […]
02.07.2021

Die melancholischen Gemälde von Amedeo Modigliani

Lange Gesichter und Liebessucht: Die melancholischen Gemälde von Amedeo Modigliani Der italienische Künstler Amedeo Modigliani führte ein Leben voller Ausschweifungen und einer unbändigen Leidenschaft für die Kunst – und für Frauen. Obgleich ihm zu seinen Lebzeiten kein kommerzieller Erfolg vergönnt war, sind die Werke des exzessiven Italieners dank seines unverwechselbaren Stils heutzutage allseits beliebt.Unabhängig von formalen Kunstbewegungen seiner Zeit strebte […]