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Alternatives Leben im 19. Jahrhundert – Rosa Bonheurs wegweisende Neuinterpretation von Kunst und Frausein

Rossa Bonheur - Pflügen in Nevers

Alternatives Leben im 19. Jahrhundert – Rosa Bonheurs wegweisende Neuinterpretation von Kunst und Frausein

Zu einer Zeit als Frauen in Frankreich nicht zur Kunstschule zugelassen wurden, konnte eine Malerin die Klassen- und Geschlechterunterschiede radikal auflösen: Rosa Bonheurs künstlerische Karriere war für damalige Verhältnisse einzigartig. Nicht nur hatte sie als erste Frau prestigeträchtige Preise erhalten, die vorher nur Männern vorbehalten waren, sie befreite sich zudem von den häuslichen Abhängigkeiten einer Ehefrau und Mutter. Denn als anerkannte, erfolgreiche Künstlerin wurde sie in ihrer späten Lebensphase reich genug, um unabhängig zu leben. Dank einer nonkonformistischen Erziehung durch ihren liberalen Vater durfte sich die kleine Rosa schon als junges Mädchen frei entfalten. Mit der Unterstützung der Eltern konnte sie ihren Kindheitstraum wahr werden lassen: Rosa Bonheur wusste schon früh, dass sie Malerin werden würde. Ihre rebellische und stolze Persönlichkeit behielt sie ein Leben lang bei. Dies machte Bonheur zu einer charismatischen Zeitgenossin, die viele Wege für Künstlerinnen und Frauen nach ihr ebnete.

Mut zur Selbstverwirklichung

Im gleichen Atemzug mit dem Engländer Edwin Landseer wird Bonheur als eine der bekanntesten Tiermaler ihrer Epoche genannt. Neben der Darstellung von Tieren bestand ihr Repertoire hauptsächlich aus Stillleben und Landschaftsmalereien. Doch im Gegensatz zu vielen ihrer Malerkollegen, die ebenfalls mit einer Tradition des Realismus verbunden waren, ging die begabte Französin einen Schritt weiter. Die Verbundenheit von Natur und Kunst war für sie mehr als nur Beobachtungs- und Wiedergabeplattform. Die moralische Lektion der Kunst bestand laut Bonheur darin, die Wahrheit der Natur zu erfassen. Diese Wahrheit betraf alles Lebendige: Tiere hatten eine Seele und alle Menschen waren gleich. Bonheurs zutiefst progressive Sichtweise beeinflusste selbstverständlich auch ihre Malerei. Ohnehin verstand sie sich als so eng mit der Kunst verwoben, dass sie von sich selbst sagte, sie sei mit der Kunst verheiratet. Wird dieser Gedanke weitergestrickt, erscheinen ihre Gemälde, die sie mit müheloser Hingabe malte, wie ihre Kinder. In der Tat widmete sich die talentierte Malerin ganz ihrer Arbeit und verdiente mit der Kunst ihren Lebensunterhalt. Ihre Liebe zu einer Frau mit der sie in einer langjährigen und harmonischen Partnerschaft lebte, machte Rosa Bonheur zu einer Pionierin der alternativen Familienstrukturen. Gemeinsam hielten und pflegten die Frauen viele verschiedene Tiere in ihrem Zuhause. Aufgrund ihrer lesbischen Beziehung, ihrer finanziellen Unabhängigkeit und ihrer liberalen Werte gilt Rosa Bonheur als Feministin der ersten Stunde. Zu diesem Ruf trug auch bei, dass sie typisch männliche Kleidung bevorzugte und 1852 sogar eine polizeiliche Erlaubnis erhielt die Männerkleidung auch während der Arbeit zu tragen. Diese visuelle Gleichstellung setzte bis in das 20. Jahrhundert ein Beispiel für Kunstkoryphäen wie Frida Kahlo oder Georgia O´Keeffe. Bemerkenswert war, dass Bonheur schon ein Jahrhundert zuvor dieselben Haltungen wie moderne Künstlerinnen vertrat. Sie forderte radikale Freiheiten und Rechte für Frauen ein, indem sie nie das tat, was von ihr als Frau und Künstlerin erwartet wurde.

Gegen Sentimentalität, für den eigenen Ausdruck

Was bedeutet es am Leben zu sein? Diese Fragestellung war Bonheurs künstlerischer Antrieb. Ihre Antworten fand sie durch das anatomische Verständnis der inneren Welt der Tiere. Auf diese Weise konnte Bonheur die Außenansicht erfolgreich wiedergeben. Bonheur scheute sich nicht davor für Anatomiestudien auch mal den Schlachthof aufzusuchen. In Blutlachen watend beobachtete und zeichnete das fleißige Ausnahmetalent die Welt um sie herum. Dabei betrieb Bonheur nicht nur eine Oberflächen-Sentimentalität. Sie verglich die Kunst mit der Medizin und setzte das ganzheitliche Prinzip mit wissenschaftlichen Disziplinen gleich.
Da Bonheur die Umwelt komplex und genau darzustellen vermochte, wurden ihre Werke mit Fotografien verglichen. Das starke Verlangen nach Realismus war zwar ein Trend ihrer Zeit, die Französin bediente sich jedoch zusätzlich einer subtilen Symbolik. Obwohl Frankreich ihre Heimat war, durchdrang der englische Stil Bonheurs Malerei. Ihre Liebe zu Tieren lag im Einklang mit den Werten der Zeit. Durch König Victoria, die ein Fan von leicht verständlichen und heimeligen Tiergemälden war, nutzten die englischen Künstler eine einfachere Bildsprache. Zugleich richteten die Herrschaftshäuser Einrichtungen für verlassene Hunde ein und bauten die ersten Tierfriedhöfe. So konnte sich die faszinierende Tiermalerei der französischen Malerin auch über nationale Grenzen hinweg gut etablieren.

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

Als Sechsjährige zog Rosa mit der Familie vom Land in die Großstadt Paris um. In der Hauptstadt veränderte sich das bisher ruhig verlaufende Leben zu einem geschäftigen Trubel. In der Schule hatte Rosa Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben und mit den strengen Vorschriften. Jedoch erkannte ihre verständnisvolle Mutter die zeichnerischen Ambitionen ihrer wilden Tochter. Die Mutter war es auch, die in Rosa das tiefe Verständnis und die anhaltende Liebe und für Tiere entflammte. Währenddessen war ihr Vater Oscar-Raymond Bonheur an der Gleichstellung von Frauen beteiligt. Entschlossen glaubte er an die Bildung von Mädchen und wurde Direktor an der einzigen Zeichenschule für Mädchen, die im Jahr 1803 gegründet wurde. Bonheur und ihre Schwester übernahmen nach dem Tod ihres Vaters die Positionen als Schulleiterinnen. Auffällig ist, dass Bonheurs Geschwister ebenfalls anerkannte Künstler wurden.
Als Rosa zehn Jahre alt war, starb ihre Mutter an Cholera. Der Wildfang Rosa wurde an ein von Frauen geführtes Internat geschickt, wo sie nicht lange blieb. Ihre Manieren fielen bei den konservativen Lehrerinnen in Ungnade und die widerspenstige Rosa wurde der Schule verwiesen. Der Vater ergriff Partei für Rosa und entschied, dass eine Kunstausbildung ohnehin der bessere Weg für seine starke und talentierte Tochter war. Da es keine offiziellen Kunstakademien für Frauen gab und er Künstler war, unterrichtete er Rosa und ihre Geschwister zu Hause und in seinem Atelier.
1836 begann Rosa mit dem Malen. Sie war mit ihren 14 Jahren eine der jüngsten Schülerinnen, die im Louvre Meisterwerke von niederländischen Malern kopierten. Nebenbei arbeitete sie weiterhin im Familienatelier. Fünf Jahre später hielt die exzentrische Rosa in ihrer ersten eigenen Wohnung eine Ziege, Kanarienvögel, Hühner, Wachteln und Finken. Die Wohnung der 19-Jährigen befand sich am Rande von Paris in der Nähe von Bauernhöfen und landwirtschaftlichen Gewerben. Bonheur und ihre Geschwister zogen oftmals durch die Felder und entwickelten hier ihr Können realistisch zu zeichnen. Bonheurs erste Ausstellung fand im Pariser Salon statt. Die Gemälden zeigten Schafe und Ziegen sowie Kaninchen, die Möhren aßen. Das Debüt der jungen Frau beeindruckte, sodass sie fortan bis 1855 jedes Jahr mit Tierstudien, Stillleben und Landschaftsmalereien bei den Ausstellungen im Salon teilnahm. Um zu reisen und Zeit für das Malen zu haben, verkaufte Bonheur ihre Bilder. Sie bezog ihr eigenes Atelier in Paris und wurde Direktorin an der École Gratuite de Dessins des Jeunes Filles.

Mit Erfolg gekrönt

Bonheurs 31. Lebensjahr markierte den Höhepunkt ihrer künstlerischen Karriere. Das epische Gemälde „Le Marché aux Chevaux“ (zu deutsch: Die Pferdemesse) wurde nach 18 Monaten Arbeitszeit im Pariser Salon gezeigt. Niemals zuvor hatte ein weibliches Werk mit solcher Kraft und Größe in den Rängen der Männerdomäne seinen verdienten Platz gefunden. Es sicherte Bonheur internationalen Ruhm. Auf Einladung der englischen Königin Victoria reiste sie durch Großbritannien, wo sie historische Persönlichkeiten wie den Schriftsteller John Ruskin und den Tiermaler Edwin Landseer kennenlernte. Außerdem nahm sich Bonheur Zeit, um Studien über die verschiedenen Pferderassen in England anzufertigen: Pferde waren Motive, die wiederholt in ihren Ölgemälden auftauchten. Als sie die Rückreise nach Frankreich antrat, war Bonheur bereits eine finanziell abgesicherte und selbstbewusste Künstlerin. Während 1855 die französische Presse Bonheurs Desinteresse an den Salons in Paris zunehmend kritisierten, verkauften sich die meisten ihrer Werke bei der englischen Aristokratie. Der Kunsthändler Ernst Gambart erwarb neben Bonheurs Originalarbeiten auch deren Urheberrechte, um Reproduktionen anfertigen zu lassen. Im Zuge ihres neuen Wohlstandes legte sich Bonheur weitere Tiere zu, unter anderem eine Stute. Beunruhigt über ihren Bekanntheitsgrad, zog die Malerin gemeinsam mit ihrer beständigen Lebensgefährtin Nathalie Micas auf ein Bauernhof im Dorf By. Hier hatte sie genügend Platz für all ihre Tiere und die benötigte Freiheit ihrer Kunst nachzugehen. Zu Bonheurs Überraschung erhielt sie im Jahre 1865 von der Kaiserin Eugenie höchstpersönlich das Großkreuz der Ehrenlegion verliehen.
Nach dem Tod von Nathalie dauerte es lange bis Rosa wieder zu ihrer charakteristischen Lebensfreude fand. Bei einer USA-Reise lernte sie die Malerin Anna Klumpke kennen, die schon als Studentin ein großer Fan von Bonheur war. Die Frauen malten sich gegenseitig und es entwickelte sich eine tiefe Freundschaft. So vertraut, dass Bonheur Klumpke als Erbin ihres Nachlasses ernannte. Klumpke schrieb Bonheurs Biografie. Außerdem leitete sie den Verkauf von über 800 Originalwerken ein und eröffnete sowohl das Musée Rosa Bonheur in By als auch die Rosa Bonheur Memorial Art School, die ausschließlich Mädchen Kunstunterricht anbot.

Anders sein, anders leben – Was bleibt?

Ihre akademische Genauigkeit ihrer Zeichnungen und Malereien war zwar gängig, aber ihre Präferenz im Freien zu malen noch ungewöhnlich. Damals war es üblich im Studio zu arbeiten. Auf dem Feld der Freilichtmalerei war Bonheur ebenfalls Pionierin und beeinflusste so eine radikale Wende der Kunstgeschichte hin zum Malen mitten in der Natur. Impressionistische Größen wie Camille Pissaro und Claude Monet folgten den Idealen, die auch schon die einzigartige Rosa Bonheur mit ihnen teilte: Um der Natur wirklich zu entsprechen, sollten Künstler sie im wahren Licht und unmittelbar sehen. Die kommerziell sehr erfolgreiche Malerin Bonheur gelang es eine Kunstkarriere zu verfolgen in einer Zeit in der nur wenige Frauen in unabhängigen Arbeits- und Familienverhältnissen lebten. Sie sprengte damit die engmaschigen Grenzen des 19. Jahrhunderts, welche die künstlerische Arbeit einer Frau nur als häuslichen Zeitvertreib verstand. Ihre unkonventionelle Denk- und Lebensweisen konnten schon in ihrer frühen Kindheit durch den Einfluss eines liberalen Elternhauses gedeihen. Als Erwachsene stellte sie die Kunstszene mit ihrem männlichen Auftreten – sie war Reiterin, trug Männerkleidung und rauchte – auf den Kopf. Rosa Bonheur war ihrer Zeit weit voraus. In gewisser Weise schien sie einer Zukunft zu entspringen, die erst im 20. Jahrhundert verwirklicht wurde.

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