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Einfachheit, Intimität und Hoffnung: Die anmutige Malerei der finnischen Künstlerin Helene Schjerfbeck

Helene Schjerfbeck - Die Genesende

Einfachheit, Intimität und Hoffnung: Die anmutige Malerei der finnischen Künstlerin Helene Schjerfbeck

Ein Unfall in jungen Jahren legte das Fundament der erfolgreichen Karriere der Malerin Helene Schjerfbeck. Als Vierjährige stürzte sie die Treppen herunter und brach sich dabei die Hüfte. Die Genesung zog sich lange hin und zur Unterhaltung dienten die vom Vater besorgten Stifte und Papiere. Im Zeichnen fand die kleine Patientin Trost und Zuversicht. Rückblickend sagte Schjerfbeck viele Jahre später: „Wenn Sie einem Kind einen Bleistift geben, geben Sie ihm eine ganze Welt.″ Die Kunst blieb Helene Schjerbeck ein Leben lang fester Halt und Mittelpunkt.

In der Schule entdeckte eine aufmerksame Lehrerin Helenes herausragendes Zeichentalent: erstaunlich frühreife Zeichnungen von Landschaften, Händen und Pferden. Der Zufall will es, dass ausgerechnet diese Lehrerin eine Bekannte des berühmten in Deutschland geborenen Malers Adolf von Becker war. Sie brachte ihm die Werke ihrer begabten Schülerin. Dieser war umgehend begeistert und nahm das junge Talent unter seine Fittiche.
Dank einer Reihe von günstigen Umständen und unterstützenden Erwachsenen erhielt Helene im Jahre 1873 im zarten Alter von 11 Jahren ein Stipendium für die begehrte Zeichenschule der finnischen Kunstgesellschaft und wurde somit deren jüngste Kunststudentin. Helene bewies sich als eifrig und absolvierte das akademische Kunststudium als eine der besten Schülerinnen. Überhäuft mit Preisen und Anerkennung wurde sie anschließend in die Privatakademie von Beckers aufgenommen. Es folgten drei intensive Lehrjahre, die mit einem Sonderstipendium für die Pariser Akademie belohnt wurden. 1879 malte sie das Gemälde mit dem Titel „Verwundeter Krieger im Schnee″, das ihre Karriere startete. Die 17-Jährige vollbrachte mit dem bemerkenswerten Naturalismus des Bildes eine außergewöhnliche Leistung. Das militärische Thema behandelt keine kriegerische Szene – was damals eine Seltenheit war. Zudem waren Künstlerinnen zu dieser Zeit eher für blumige Stillleben bekannt. Dies war jedoch ein Stillleben der besonderen Art: Gegen eine schneebedeckte weiße Birke gelehnt, sitzt ein in sich zusammengesunkener Soldat, ein Gewehr in der linken Hand, die Beine ausgestreckt, keine Hilfe in Sicht. Im Hintergrund sind winzige Figuren zu erkennen, aber ob sie auf den Soldaten zu- oder vorbeigehen, bleibt unklar.

Liebeskummer und Heimweh

Das Leben in Paris hart war. Helene schlief in einer Mansarde und arbeitete viel. Die junge Frau fand in der französischen Hauptstadt jedoch rasch Gleichgesinnte. Sie schloss lebenslange Freundschaften mit den Malerinnen Helena Westermarck, Maria Wiik und Ada Thilén, die Helene liebevoll ihre „Malerschwestern″ nannte. Mit den drei Kolleginnen unterhielt sie bis an ihr Lebensende Briefkorrespondenzen. Helene hatte großes Interesse an allem Ästhetischen. Ihr Faible für Mode entwickelte sich während ihrer Zeit in Paris. Bodenlangen dunklen Kleider, eine ramponierte Ledertasche sowie eine hochwertige Jadebrosche waren Helenes Markenzeichen. Mehrere ihrer Porträts zeigen das Tête-à-Tête zwischen Mode und Kunst.
Schjerfbeck war sich der beruflichen Hilfe ihrer Lehrer, Freunde und Mäzene sicher. Egal, was die ambitionierte Finnin anpackte, gelang ihr. Doch in Sachen Liebe verlief ihr Leben in unruhigen Bahnen.
Nach der Auflösung ihrer Verlobung, zog sie aus Paris in das Haus eines Bekannten in St. Ives in Cornwall. Der Verlobte wurde von ihr nach der Trennung lediglich „der Engländer″ genannt: zu schmerzlich war die bloße Erwähnung seines Namens. Über einen Zeitraum von 10 Jahren arbeitete Schjerfbeck in der Bretagne, in Florenz und in St. Ives. In St. Ives produzierte sie ihr beliebtestes Werk: „Die Genesende″ (1888). Es zeigt ein kleines Mädchen mit blondem, ungekämmten Haar, das noch benommen vom Kampf mit der Krankheit und mit Tüchern warm gehalten an einem Tisch sitzt. Mit einem aufkeimenden Leuchten in den Augen bestaunt es eine Blüte in einer schlichten Tasse. Beim Betrachten des Bildes werden Erinnerungen an die eigene Kindheit wach: das wohlige Gefühl nach einer Erkältung erneut Lebenskraft zu erlangen. Das Bild erzählt eine Geschichte der Hoffnung, die Helene selber mehrmals durchleben musste: Sowohl nach dem Unfall als Kind als auch nach der Trennung von ihrem Verlobten musste die talentierte Künstlerin neuen Lebensmut finden.

Während Helenes Aufenthalts in England wurden ihre Werke mehrmals in der Kulturhochburg London gezeigt. Sowohl das englische Publikum als auch die lokale Kunstpresse waren begeistert. Doch der Erfolg in der Fremde konnte die tiefe Kränkung einer verlorenen Liebe nicht mindern. Helene beschloss sich fortan nur auf die Kunst und das Malen zu konzentrieren. Es folgten mehrere Arbeitsreisen nach St. Petersburg, Wien und Florenz. Dort fertigte Helene für die finnische Kunstgesellschaft Kopien von Meisterwerken der Künstler Holbein, el Greco und Velázquez an.
1896 zog Helene Schjerfbeck in ihre Heimat zurück und wurde bei ihrer einstigen Ausbildungsstätte, der finnischen Kunstgesellschaft, als Lehrerin angestellt. Das Unterrichten nahm die Kosmopolitin vollends in Anspruch und sie vernachlässigte ihre eigene Kunsttätigkeit. Obgleich ihre Schüler sie mochten, war Helene das Unterrichten leid. Nach nur wenigen Jahren an der Schule gab sie ihre Lehrtätigkeit auf und zog erleichtert nach Hyvinkää, einer Stadt 50 km nördlich von Helsinki, um sich um ihre alternde Mutter zu kümmern.

Ein erfolgreiches, aber bescheidenes Leben

Helene Schjerbecks gilt als berühmteste Künstlerin Finnlands. Schon zeit ihres Lebens hatte die stille Finnin einen guten künstlerischen Ruf. Schjerfbeck war eine zielstrebige und ehrgeizige Frau. Sie lebte eher zurückgezogen und erledigte den Haushalt und alle Besorgungen eigenständig und alleine. Die Kunsttätigkeit Helenes war der Mutter selbst in Zeiten des Erfolges ein Dorn im Auge. Es kam oft zu Streitigkeiten zwischen den beiden Frauen. In den Briefen an ihre Malschwestern beschwerte Helene sich regelmäßig über ihre Mutter und das turbulente Zusammenleben. Es handelte sich hierbei jedoch um den üblichen Alltagsstress und ist vielmehr Beweis dafür, dass die Künstlerin zwischen zwei verschiedenen Welten lebte: einerseits die isolierte Provinz mit der geliebten, aber spießigen Mutter, andererseits die progressive Welt der Kunst in der Großstadt Helsinki sowie der intellektuelle Austausch mit Kollegen und Förderern.

Dem Status des Außenseiters zu Trotz wuchs Schjerfbecks Bekanntheitsgrad stetig. Es sind vor allem ihre Porträts, die auffielen. Diesen Bilder, die eher Studien als vollendete Gemälden gleichen, haftet eine mystische Aura von Nostalgie und Sentimentalität an – jedoch ohne ins Kitschige oder Klischeehafte abzugleiten. Sie erzählen von der Diskrepanz zwischen dem Aussehen und dem Wesen eines Menschen. In ihren Porträts wählte Helene immer ein Modell als Ausgangspunkt aus, ließ aber im Laufe des Malprozesses ihrer Fantasie freien Lauf.
Der Kunsthändler Gösta Stenman wurde 1913 auf Helene aufmerksam und war begeistert von dem kühnen Minimalismus der Porträts. Für seine Galerie kaufte er sie Helene nach und nach ab. Dank der Unterstützung der finnischen Kunstgesellschaft und dem unermüdlichen Engagement von Gösta Stenman bekam Schjerbecks Kunst die verdiente Sichtbarkeit. Die Malerin durfte sich mit erfolgreichen Einzelausstellungen in Helsinki und Stockholm, im Pariser Salon und in London rühmen. Weltweit war Helene Schjerfbeck für ihre atmosphärischen Gemälde und ihre bahnbrechenden Porträts bekannt. Eine geplante Ausstellung in den USA wurde leider wegen des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs abgesagt.

Intimität in Öl auf Leinwand

2014 zeigte die Schirn in Frankfurt am Main die Werke der im Jahre 1946 verstorbenen Künstlerin, die bis in das hohe Alter von 83 Jahren malte. Schjerfbecks Modelle waren Menschen, die sie kannte: ihr Vermieter, die Kinder ihres Vermieters, einheimische Frauen, ihre Mutter, sie selbst. In der Schau in Frankfurt waren auch Schjerfbecks mutige Männerakte zu sehen. Zu jener Zeit gab es keine Bilder von nackten Männern, die sich mit Helenes vergleichen ließen. Einar Reuter saß ihr hierfür Modell. Mit dem Schriftsteller, Förster und Malerkollege Reuter verband Helene eine tiefe Freundschaft. Er war es auch, der die erste kurze Biografie über Helene Schjerfbeck veröffentlichte.
Es ist nicht bekannt, wie sich ihre Beziehung entwickelte. Spekulationen zufolge war der 18 Jahre jüngere Einar die zweite große Liebe in Helenes Leben, die ihr jedoch erneut nur Trauer einbrachte.

Nach ihrem Tod verschwand das internationale Interesse an Schjerfbecks Kunst. In ihrer Heimat Finnland blieb sie eine gefeierte Künstlerin. Erst nach und nach fand die Öffentlichkeit außerhalb Finnlands erneuten Zugang zu der modernistischen Malerei Schjerbecks. Um Helenes Arbeit für die neue Generation zugänglicher zu machen, wurde dei Künstlerin in näherer Zeit oftmals als „Finnlands Munch″ bezeichnet. Im Gegensatz zu den melancholischen und depressiven Bildern des Norwegers positionierte sich Schjerfbeck zwar ebenfalls nostalgisch, aber stets hoffnungsvoll und ohne Reue oder Scham.
Je älter Helene wurde, desto mehr schätzte sie die Einfachheit: im Leben wie in der Kunst. Schjerfbecks Stil ist individuell und unverwechselbar. Die melancholische Anmut ihrer Werke ist einzigartig. IhrenGemälden wird oft eine gespenstische Qualität zugesprochen, denn die Landschaften oder Innenräume sind oftmals menschenleer. Die Leere wird in den Bildern durch eine einsame Bank oder durch Kleidung auf einem Rasen hervorgehoben. Auf ihren Porträts schwelgen die Menschen in stiller Selbstbeobachtung. Schjerfbeck hatte ein großes Bedürfnis nach Privatsphäre. Diese Präferenz spiegelt sich in den abgewendeten Blicken ihrer Modelle wider. Ihre Malerei mit den gedämpften Farbtönen und dem dunstigen Finish wirken wie verblassende Erinnerungen an eine vergangene Zeit, an die gerne zurückgedacht wird.

08.07.2020Kategorien

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