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Henri de Toulouse Lautrec und das Nachtleben der Belle Epoque – Ein außergewöhnlicher Außenseiter erobert Paris

Henri de Toulouse-Lautrec - At the Moulin Rouge (Der Tanz)

Henri de Toulouse Lautrec und das Nachtleben der Belle Epoque - Ein außergewöhnlicher Außenseiter erobert Paris

Die Kunstwelt verdankt dem selbstbewussten Maler Henri de Toulouse Lautrec die lebensfrohen Plakate des legendären Varietétheaters Moulin Rouge. Was damals schon für seine ästhetische Werbewirkung in aller Munde war, hängt heute als Reproduktion bei Kulturliebhabern in Wohn- und Büroräumen sowie in gemütlichen Cafés. Ende des 19. Jahrhunderts stellte der kleinwüchsige Franzose die Party- und Kunstszene der lebendigen Hauptstadt Paris gehörig auf den Kopf und eroberte die Herzen von Prostituierten, Geschäftsinhabern und Kunstsammlern gleichermaßen. Ob mit seiner Lieblingsbeschäftigung (das Verkleiden als Clown, Geisha oder als andere aberwitzige Figur), mit der Eigenkreation eines gewagten Cocktails mit dem vielversprechenden Namen Erdbeben (bestehend aus Cognac und Absinth), als Stammgast in den Pariser Bordellen oder als Partylöwe im heiteren Nachtleben: Henri de Toulouse Lautrec war ein beliebter Zeitgenosse, der viele Freunde und Fans hatte. Eindrucksvoll zeigen auch die Werke des französischen Wirbelwinds die energiegeladenen Höhen und Tiefen des städtischen Lebens kurz vor dem Eintritt ins 20. Jahrhundert.

Von Kommerz zum Kult

Jahrzehnte vor dem Pop-Art-Künstler Andy Warhol, der neben gewöhnlichen Alltagsprodukten auch Werbung als Stilmittel für seine Arbeiten nutzte, gelang es dem Diplomkünstler Toulouse Lautrec Werbeplakate zu einem Kunststatus zu erhöhen. Diese Aufhebung der Grenzen zwischen bildender Kunst und einfachen Formen der visuellen Werbung markiert in der Kunstgeschichte eine grundlegende Veränderung. Denn mit Toulouse Lautrecs meisterhaften Werbebildern für den Nachtclub Moulin Rouge wurde das Fundament für alle kommerziellen Künstler nach ihm gelegt. Für das Unterhaltungsgeschäft zu arbeiten, bescherte dem Naturtalent finanziellen Erfolg und jede Menge Freiheiten. Ein kostenloser Eintritt ins Moulin Rouge war nur eines dieser Privilegien. Toulouse Lautrecs Werbeposter machten aber nicht nur ihn selbst zum Star. So schrieb beispielsweise die Kabaretttänzerin Jane Avril, die von ihm für solch ein Poster porträtiert wurde: „Es ist mehr als sicher, dass ich ihm den Ruhm schulde, den ich genossen habe.″ Im Vergleich zu vielen anderen Kunstschaffenden, die abhängig waren von Galerien, privaten Sammlern oder der Regierung, konnte der quirlige Franzose durch die Honorare der Auftraggeber seinen Lebensunterhalt gut und sicher verdienen. Sowieso mangelte es ihm als Aristokratensohn nicht an Geld.

Anders sein ist wundervoll!

Henri Marie Raymond de Toulouse Lautrec Monfa wurde in eine adlige Familie in Südfrankreich geboren. Der Besitz von Reitpferden gehörte zu seinem hochklassigen sozialen Status dazu. Der junge Henri liebte seine Tiere und war ein guter Reiter. Doch die Idylle wurde früh zerschlagen: Als 8-Jähriger wurde bei ihm ein angeborener Gendefekt diagnostiziert, der seine Knochen schwächte. Aufgrund dieser Krankheit und zwei schwerer Reitunfälle, hörten seine Beine auf zu wachsen. Mit dem Oberkörper eines ausgewachsenen Mannes und den proportional zu kurzen Beinen, betrug die Größe des erwachsenen Henri de Toulouse Lautrec knapp 1,5 Meter. Für den Rest seines Lebens litt der begabte Maler unter Schmerzen und ging mit einem Gehstock; sein Selbstbewusstsein jedoch blieb ihm immer vorhanden. Als Optimist kostete er sein Leben in vollen Zügen aus.
Beglückt mit Willenskraft und einem positiven Gemüt, konnte Toulouse Lautrec Profit aus seiner Behinderung schlagen – und dass zu einer Zeit, als Menschen mit Behinderungen noch unverblümt Freaks genannt wurden. Sein andersartiges Aussehen nutzte er zu seinem Vorteil, denn der Status des Außenseiters befähigte ihn bemerkenswerte Beobachtungen von Menschen am Rande der Gesellschaft zu machen. Liebevoll nannte er die befreundete Truppe aus Sängern, Akrobaten, Tänzern und Prostituierten seine Adoptivfamilie. In den schrägen Vögeln und Vergessenen der Gesellschaft erkannte er sich wieder und unter seinesgleichen konnte Henri seine exzentrische Art sorglos ausleben.
Seine Leidenschaft für das Reiten gab er als Jugendlicher auf Anraten seines Kunsttherapeuten auf. Fortan konzentrierte er sich mit demselben Elan auf das Zeichnen und leitete seine körperliche Lebhaftigkeit in die Künste um. So erscheinen die geschwungenen, gewundenen Linien seiner Zeichnungen wie die perfekte Umsetzung der physischen Energie in die Kunst. Seine Liebe zu Pferden drückte er in frühen Zeichnungen aus. Schon erste Skizzen wie beispielsweise „Zwei Reiter zu Pferd″ von 1879 zeigen sein großes Talent. Henri übertrug Menschen und Tiere gekonnt und einzigartig auf die Leinwand. Zu jener Zeit machte der junge Künstler Bekanntschaft mit dem Impressionismus. Ein Künstlerkollege, der die Leidenschaft für Pferde teilte, war der französische Maler Edgar Degas. Der Einfluss des älteren Vorbilds wird in Toulouse Lautrecs Bildern besonders in der gestischen Linienführung und der eleganten Bewegungserfassung sichtbar. Außerdem waren die hauptsächlichen Motive beider Maler ähnlich: Es handelte sich bei beiden um Stadtszenen und die Freizeitgestaltung der Großstadtbewohner. Vor Ort vor dem Motiv zu arbeiten war für Toulouse Lautrec und die Impressionisten seiner Zeit sehr wichtig. Sie begannen nicht nur die Kompositionen vor Ort, sondern vervollständigten sie meistens auch dort. Aber anders als die impressionistischen Maler, die sich für freizeitliche Alltagsszenen der oberen Mittelklasse interessierten, porträtierte Toulouse Lautrec auch das städtische Nachtleben und intime Szenen seiner Bekannten und Freunde.

Je wilder, desto besser

1882 zog Henri de Toulouse im Alter von 18 Jahren in die Kulturhauptstadt Paris. Dort wurden – neben dem Malen und Zeichnen – wilde Zusammenkünfte und das überwältigende Nachtleben zu seinem liebsten Zeitvertreib. Selbst seine gesundheitlichen Probleme hielten ihn nicht davon ab ein hedonistisches Leben zu führen. Das Künstlerviertel Montmartre wurde seine zweite Heimat. An der renommierten Ecole des Beaux-Arts, die den Studenten noch das Malen nach akademischer Tradition beibrachte, fühlte sich Henri nicht wohl. Statt der steifen, konservativen Lehre leistete Henri sich die kostspieligere, aber unorthodoxe und unkonventionelle Ausbildung in den kleinen Studios der Lehrmeister Leon Bonnat und Bernard Corman. Letzterer zählte auch Künstlergrößen wie Vincent van Gogh und Emile Bernard zu seinen Schülern. Die moderne Lebensweise in Paris, die ausgelassene Boheme sowie die experimentellen Ansätze der Lehre bei Bonnat und Corman waren genau das, wonach der extravagante Toulouse Lautrec gesucht hatte.
In den Cafés, Bars, Bordellen und Varietétheatern der Stadt machte sich der charmante Künstler schnell einen Namen. Mit Witz, Sarkasmus und einer großen Portion Liebenswürdigkeit wurde Henri fester Bestandteil der Pariser Kulturszene. Seine Zeit in den verschiedenen Etablissements verbrachte er aber nicht nur feiernd, sondern auch produktiv: Schaute er sich beispielsweise ein Theaterstück an, nutze Henri die Zeit sinnvoll, indem er Darsteller und Besucher zeichnete. Seine Lieblingsmodelle waren die Prostituierten mit denen er auch echte Bekanntschaften pflegte. Die Frauen vertrauten ihm so weit, dass er zeitweise sogar in eines der Etablissements einzog – was einige seiner Zeitgenossen missfiel. Aber genau über diese konservative Klassenstruktur des 19. Jahrhunderts hinausgehend, konnte der sympathische Maler echte Freundschaften zu Menschen außerhalb der Gesellschaft schließen. Eine dieser Personen war die Prostituierte Suzanne Valadon. Der erfolgreiche Maler wurde nicht nur von seiner Muse inspiriert. Er inspirierte sie ebenfalls: Nachdem sie mehrmals für ihn Modell gestanden hatte, entdeckte sie ihrerseits ein ausgeprägtes Interesse an der Malerei. Dank Toulouse Lautrec nahm sie Kunstunterricht und begann später sogar eine bedeutende Karriere als Künstlerin.

Die neue Sensation der Stadt

Buchstäblich über Nacht gelangte der talentierte Toulouse Lautrec zu kommerziellem Erfolg. Da die Unterhaltungsbranche boomte und immer mehr Menschen vom Land in die Stadt zogen, wetteiferten Geschäftsinhaber in Paris um das Geschäft mit den Kunden. Werbeplakate waren damals eine relativ neue Erfindung. Dreitausend Exemplare von Toulouse-Lautrecs erstem farbenfrohen Poster für das Varietétheater Moulin Rouge wurden in einer gewöhnlichen Dezembernacht in der ganzen Stadt aufgehängt. In den darauffolgenden Tagen strömten Menschenmassen in das beworbene Theaterstück: Der Geschäftsinhaber verdankte es Toulouse Lautrecs anregendem Werbeplakat, dass die Aufmerksamkeit der mit Anreizen verwöhnten Kundschaft auf das Kabarett gelenkt wurde. Aufgrund des massiven Erfolgs wurde auch Henri belohnt: Als Zeichen der Wertschätzung sicherte sich der Inhaber des Moulin Rouge die zukünftige Zusammenarbeit mit ihm und reservierte dauerhaft einen Sitzplatz für die neue Sensation der Stadt: Henri de Toulouse Lautrec. Allein schon die Möglichkeit, dass der Maler anwesend sein könnte, war ein Zuschauermagnet. Außerdem wurden Henris Gemälde in den Innenräumen des Moulin Rouge ausgestellt. Toulouse Lautrecs Werbeposter waren perfekte Köder für Menschen, die nach einer guten Abendunterhaltung suchten: Die Zeichnungen waren bunt, dynamisch und auffällig. Schon zu Henris Lebzeiten wurden seine raffinierten Werbebilder zu begehrten Sammlerobjekten. Der Kunstkritiker Felix Fenéon gab in seinen Artikeln sogar explizit Anweisungen, wie ein Poster von Toulouse Lautrec unbeschadet abgenommen werden konnte, bevor der Leim eintrocknete. Auch andere Veranstaltungsorte beauftragten den „kleinen Künstler″, der sich vor Arbeit kaum retten konnte. Toulouse Lautrec war Ehrengast in den allabendlichen Vorstellungen der Nachtclubs und ein nahezu unbegrenztes Arbeitsangebot befähigte den begnadeten Zeichner zu künstlerischen Höhenflügen.

Jedoch hatte das unanständige Leben in den Kneipen und Bordellen der Stadt seinen bitteren Preis: Toulouse Lautrec starb im jungen Alter von 36 Jahren an den Schäden des Alkoholismus und der Syphilis. Doch der Bonvivant hatte zu seinen Lebzeiten nie Mitleid mit sich selbst, sondern setzte sich privat und künstlerisch stets für pure Lebensfreude ein. Diese tiefe Freude lebt weiter in seinen brillanten Bildern des Pariser Nachtlebens zu Zeiten der Belle Epoque.

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